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Predictions 20/20: Das sind Business Model Innovations für 2020

Unser Format „Predictions 20/20“ trägt die 20 relevantesten Trends der Medien- und Digitalszene für 2020 zusammen. Wie werden zukünftig Geschichten erzählt? Wie entwickelt sich die Bewegtbild-Branche? Welche technologiegetriebenen Innovationen werden im kommenden Jahr wichtig und welche Business Model Innovations stehen uns im Bereich der Medienökonomie bevor? Antworten auf diese Fragen geben unsere Expert*innen aus dem nextMedia.Hamburg-Netzwerk. In diesem Teil widmen wir uns den innovativen Geschäftsmodellen der Zukunft.

Vor der Digitalisierung galt der Besitz eines Zeitungsverlages als Lizenz zum Gelddrucken. Print-Zeitungen, die als Regionalblätter häufig sogar aus einer Monopolstellung heraus agierten, konnten die Anzeigenpreise maßgeblich beeinflussen und auf diese Weise bedeutende Gewinne einfahren. Das Hamburger Abendblatt beispielsweise erzielte zu Hochzeiten ganze 80 Prozent seines Umsatzes allein mit Wohnungs-, Stellen- und Kfz-Anzeigen. Diese fetten Jahre sind natürlich längst vorbei: Heute kann im Internet jede*r kostenlos Anzeigen schalten – die Wohnung auf WG-gesucht, das Auto auf mobile.de oder Omas Teeservice auf eBay Kleinanzeigen anbieten. Die Monopolstellung im Anzeigengeschäft haben Presse und Rundfunk verloren, das klassische Geschäftsmodell der gedruckten Zeitung scheint alleine kaum noch tragfähig und auch der digitale Verbreitungsweg zeigt häufig noch nicht den gewünschten Erfolg. Keine Frage: Wollen Medienhäuser überleben, braucht es für sie neue, innovative Ansätze, um den Herausforderungen unserer digitalisierten Welt mit erfolgreichen Geschäftsmodellen zu begegnen.

Dabei gilt es, alte Denkmuster aufzubrechen und etablierte Sender-Empfänger-Beziehungen zu hinterfragen. Medien müssen sich die Frage stellen, wie Abonnements aufgewertet und  Nutzer*innen nachhaltig gebunden werden können. Seit 2014 finanziert sich als prominentestes Beispiel die britische Tageszeitung The Guardian sehr erfolgreich über ein Membership-Modell, in dem alle Inhalte grundsätzlich für jede*n zugänglich bleiben. Die User*innen zahlen nur, wenn sie wollen, und können so zu Mitgliedern werden, denen Redaktionsbesuche und vergünstigte oder sogar kostenlose Teilnahmemöglichkeiten an Konferenzen und Events ermöglicht werden. Eine Strategie, die bei den Nutzer*innen ankommt: Im Mai dieses Jahres verfügte der Traditionsverlag über 655.000 regelmäßige Unterstützer*innen – ein Grund, warum The Guardian erstmals seit 1998 wieder schwarze Zahlen schreiben konnte. Obgleich sich die Frage, wie man Nutzer*innen bindet, nicht für alle Märkte und Geschäftsmodelle gleichermaßen beantworten lässt, zeigt das Beispiel eindrucksvoll auf, dass Nutzer*innenbindung und Monetarisierung im Journalismus nicht nur koexistieren, sondern sich gar bedingen können. Christina Elmer, geschäftsführende Redakteurin im Bereich Redaktionelle Entwicklung bei SPIEGEL, glaubt, dass durchaus unterschiedliche Lösungen nebeneinander funktionieren können, solange der Fokus dieser Lösungen auf den Nutzer*innen liegt: „Für ein stabiles Finanzierungsmodell müssen wir Medien die Beziehung zu unseren Nutzer*innen weiter vertiefen. Was es in jedem Fall braucht, ist ein nutzer*innenzentrierter Blick auf unsere Angebote: In welchen Situationen begegnen Menschen uns? Welche Bedürfnisse haben sie? Und wie können wir sie mit unserem Journalismus für uns gewinnen?“ Wer erfolgreich sein möchte, müsse noch viel genauer hinschauen, zuhören und experimentieren, um Angebote zu schaffen, die auch langfristig Erfolg versprechen.

Die Tatsache, dass Journalismus-Angebote immer stärker auf Nutzer*innen zugeschnitten werden, birgt jedoch auch viele Herausforderungen, die immer deutlicher sichtbar werden, beispielsweise bei der politischen Meinungsbildung. Die Präsidentschaftswahl in den USA 2016, bei der viele Social-Media-User*innen ausschließlich Themen aus der eigenen Bubble in ihren Feeds zugespielt bekamen und deshalb die grundlegende Stimmung im Land missdeuteten, dient hier als warnendes Beispiel. In Zeiten, in denen alles dem Thema Convenience untergeordnet werden müsse, sollte hierauf besonders geachtet werden, meint Nicolas Meibohm, Head of Connected Cars bei Axel Springer SE: „Es geht darum, jede*n Nutzer*in individuell zu informieren und zu unterhalten, ohne sie*ihn in eine News-Bubble zu manövrieren.“ Dies könnte mit einem persönlichen Assistenten gelingen, der für eine ausgewogene Medienstreuung sorgt und darüber hinaus auch die eigene Mobilität und Einkaufsliste organisiert. „Diverse Player aus den unterschiedlichsten Industrien denken auf diesem Thema schon seit geraumer Zeit herum, am Ende wird das Rennen aber wohl Google, Amazon oder Apple machen und die einzelnen Bestandteile entsprechend zusammenzuführen“, so Meibohm.

Doch nützt auch der beste Assistent nichts, wenn er passende Inhalte nicht finden oder semantisch nicht zuordnen kann. Daher ist es von großer Bedeutung, über Keyword-Optimierung hinaus auch die Inhalte mit Metadaten zu versehen, um Geschichten maschinell besser lesbar und auswertbar zu machen. Strukturierte Daten ermöglichen darüber hinaus eine genauere Auswertung des Nutzungsverhaltens, sagt Katja Fleischmann, Head of Performing Content/Data-driven Publishing bei der dpa: „So verstehen wir besser, wofür sich Leser*innen im Internet interessieren und können ihnen individuelle thematische Empfehlungen geben. Das wiederum erhöht ihre Loyalität und steigert die Erlöse, zum Beispiel in Form von digitalen Abonnements.“

Neue, innovative Anwendungen, die im Zuge der Digitalisierung entstanden sind und erlössteigernd wirken, werden nicht nur im Journalismus angewandt, sondern finden auch im Bereich E-Commerce großen Zuspruch. Dynamic Pricing ist eine solche Methode, mit der viele Nutzer*innen, wenn auch unbewusst, bereits Erfahrungen gemacht haben. Dabei handelt es sich um ein Modell, das Preise anhand von Faktoren wie Preisgestaltung der Konkurrenz sowie Angebot und Nachfrage automatisch berechnet. Anwendung findet diese KI-Methode vor allem im Online-Handel, wo Amazon als Vorreiter gilt und seine Preise mehrmals am Tag ändert. Aber auch in anderen Geschäftszweigen wie der Hotellerie und bei Reiseanbietern wird Dynamic Pricing bereits eingesetzt. Prof. Dr. Martin Spindler von der Universität Hamburg forscht seit mehreren Jahren an dieser Methode und glaubt, dass Dynamic Pricing bei richtiger Handhabung für sehr viele weitere Unternehmen interessant werden dürfte: „Maschinelle Lernmethoden und Künstliche Intelligenz können helfen, die optimale Preisstrategie zu finden. Die naive Anwendung solcher Methoden führt allerdings zu nicht optimalen Ergebnissen, sodass die richtige statische Modellierung immer mehr in den Fokus rückt, wie es bei Tech-Firmen wie Amazon und Google schon der Fall ist.“ Sollte eine solche Modellierung gelingen, könnte die Methode nicht nur den Tech-Giganten, sondern auch kleineren Anbietern aus dem Mittelstand beachtliche, finanzielle Sprünge ermöglichen.

Solche hat in den letzten Jahren auch der Gaming-Bereich gemacht. Der florierende Markt ist längst mehr als nur eine Nische und eröffnet in Kombination mit neuen technologischen Möglichkeiten jede Menge Monetarisierungspotenziale. So wird laut einer Statista-Studie der Umsatz mit Videogames für das Jahr 2020 weltweit auf umgerechnet rund 76,7 Milliarden Euro geschätzt. 2011 lag die Zahl noch bei umgerechnet 46,91 Milliarden Euro. In-Game-Advertising könnte diese Entwicklung im kommenden Jahr zusätzlich befeuern. Dabei handelt es sich um Werbung, die im Voraus nicht im Code festgehalten ist, sondern dynamisch kreiert wird und programmatisch buchbar ist. Programmierer*innen greifen hierfür auf klassische Targeting-Optionen wie Kontext, Gerät, Standort, Demographie und Verhalten zurück und etablieren diese auf dem Gaming-Markt. Nach Einschätzung von Itamar Benedy, der sich als Gründer und CEO von Anzu.io mit seinem Start-up auf Werbeflächen in Spielewelten spezialisiert hat, könnte der Technologie 2020 so der Durchbruch gelingen: „Gaming steht heute im Mittelpunkt unserer Popkultur, sodass ich damit rechne, dass die Einnahmen im Bereich In-Game-Advertising weiter ansteigen werden. Durch die programmatischen Anforderungen an die Sichtbarkeit von Anzeigen in Konsolenspielen wird der Bereich In-Game-Advertising gleichzeitig immer anspruchsvoller und standardisierter.“ Dennoch ist er sich sicher, dass In-Game-Advertising die nächste „Welle der Werbung“ darstelle und den Gaming-Bereich entscheidend voranbringen werde.

Insgesamt zeigt sich, dass die neuen technologischen Möglichkeiten unserer Zeit dem gesamten Medien- und Digital-Sektor enorme Potenziale für zusätzliche Einnahmequellen eröffnen.  Individualisierung und Personalisierung sind dabei notwendige Hebel, um Nutzer*innen zu erreichen und nachhaltig zu binden. Insbesondere für den Journalismus ergeben sich dadurch neue Erlösmodelle, mit denen eine positive Zukunft bevorstehen könnte.

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