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Predictions 20/20: Das sind die Storytelling-Trends für 2020

Unser Format „Predictions 20/20“ trägt die 20 relevantesten Trends der Medien- und Digitalszene für 2020 zusammen. Wie werden zukünftig Geschichten erzählt? Wie entwickelt sich die Bewegtbild-Branche? Welche technologiegetriebenen Innovationen werden im kommenden Jahr wichtig und welche Business Model Innovations stehen uns im Bereich der Medienökonomie bevor? Antworten auf diese Fragen geben unsere Expert*innen aus dem nextMedia.Hamburg-Netzwerk. In diesem Teil widmen widmen wir uns der Zukunft des Storytellings.

Storytelling ist beinahe so alt wie die Menschheit. Seit jeher berichten Menschen schon von ihren Erfahrungen, sprechen über ihre Gefühle und verpacken Informationen in Erzählungen, um Mitmenschen mit ihren Botschaften zu erreichen. Ob in Form von mündlichen Überlieferungen, Höhlenmalereien, Büchern, Fotos, Videos oder rasant wachsenden Plattformen wie TikTok und Twitch – Geschichten gab es schon immer, nur die Art und Weise, wie sie erzählt werden, hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Die heutige Zeit steht vor allem im Zeichen einer Informationsflut, die insbesondere die Medienakteure vor enorme Herausforderungen stellt. Wer möchte, dass die eigenen Inhalte auffallen, muss sie in zeitgemäße Geschichten verpacken und innovatives Storytelling betreiben. In Zeiten einer neuen Aufmerksamkeitsökonomie gilt es, mehrwertige Angebote gut sichtbar zu inszenieren, um sich im digitalen Raum von der Masse abheben zu können. Dabei spielt auch das Thema Interaktivität eine große Rolle – ein Trend, der uns nach Einschätzung unserer 20/20-Expert*innen im kommenden Jahr besonders beschäftigen wird.

Die Interaktion zwischen Medien und Nutzer*innen ist an sich kein vollkommen neues Phänomen. Bereits 1979 wurde die erste Ausgabe der populären Spielbuchreihe „Choose Your Own Adventure“ veröffentlicht, deren Name als Synonym für das Genre fungiert. Dieses interaktive Narrativ ist inzwischen auch in der digitalen Welt angekommen – unter anderem durch Feature-Artikel und Online-Reportagen, aber auch durch neue Produkte, die die Neugier, den Spieltrieb und den Sinn für Ästhetik ansprechen. Die visuell eindringliche und scrollbasierte Story-Erfahrung The Boat kann hier als Muster für gelungenes, interaktives Geschichtenerzählen angeführt werden. Valerie Krämer, Chief Revenue Officer bei Opinary, teilt die Euphorie, die derzeit rund um interaktive Story-Formate aufkeimt. Laut Krämer sei es für Publisher, Agenturen und Marken erfolgsversprechend, ihren Content den Verhaltensmustern der sozialen Netzwerke anzupassen: „Das wird die Kunst in 2020 sein: Gezielte, personalisierte sowie qualitativ hochwertige Interaktionen und Erfahrungen schaffen, um so echte Beziehungen zu den Nutzer*innen aufzubauen und sie nachhaltig zu binden.“

Das gelingt aktuell besonders gut via Social-Media-Stories, die als das Storytelling-Format der Stunde gelten. Über die Möglichkeiten klassischer Feed-Beiträge hinaus können User*innen hier viel intuitiver interagieren und sogar selbst Teil der Geschichte werden – beispielsweise per Umfrage- und Antwort-Tool. Die Nutzer*innenzahlen sprechen jedenfalls für sich. Mit Stories werden über Instagram, Facebook und WhatsApp 1,5 Milliarden Nutzer*innen täglich erreicht (Stand November 2019). Ein Vergleich, der den Aufschwung von Stories deutlich macht: Im vergangenen Jahr zählten die drei Plattformen zusammen täglich eine halbe Milliarde Nutzer*innen weniger. Johanna Röhr, die unter anderem als Social-Media-Reporterin für SPIEGEL tätig ist, glaubt, dass Stories auch in 2020 überaus zielführend bleiben: „Es gibt aktuell kein anderes Erzählformat, das aufgrund des vertikalen Formats und der kurzen Snaps so gut für die mobile Nutzung geeignet ist – anders als Feeds und Posts, die in ihrer Urform auf die Desktop-Nutzung zugeschnitten sind.“ Aus diesem Grund dürften im kommenden Jahr definitiv mehr Apps und Angebote zur Produktion von filmreifen Stories präsentiert werden – sowohl für Profis als auch für Anfänger*innen, so Röhr.

Die Zeiten, in denen die Produktion von Visuals und Videos nur ausgebildeten und hochqualifizierten Spezialist*innen möglich war, seien ohnehin längst vorbei. Das betont auch Visual-Experte Jeremy Caplan, Director of Education am Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism der City University of New York, der seine Branche weiter im Wandel sieht. Beispielhaft nennt er den Aufstieg von interaktiven Videosoftware-Diensten wie Eko, Verse, Wirewax und Rapt. Der Trend gehe in Richtung einer wachsenden Anzahl von Videoeditor*innen, die auch ohne tiefreichende Technologie-Kompetenz spannende Geschichten kreieren können. „Dies dürfte insgesamt zu mehr Flexibilität führen. Die Nutzer*innen werden zunehmend selbstständig entscheiden können, wie Geschichten entstehen und welche Zutaten ein Video-Rezept enthält“, sagt Caplan. Mit der steigenden Anzahl an Content-Produzent*innen dürfte dieser Trend langfristig auch die Qualität von visuellen Inhalten weiter deutlich anheben.

Eine qualitätssteigernde Wirkung hat auch der Einsatz Künstlicher Intelligenz auf redaktionelle Inhalte. In vielen Aufgabenbereichen übernehmen Maschinen und Algorithmen bereits heute Recherchearbeiten, unterstützen Journalist*innen im Alltag, selektieren Bildmaterial, das zu den Inhalten passt und produzieren mitunter ganze Artikel. Eugen Gross, CEO und Gründer von aiconix, glaubt, dass der Einfluss von KI auf die Content-Industrie auch im nächsten Jahr weiter zunimmt. Künstliche Intelligenz werde nicht nur zunehmend bei der Optimierung redaktioneller Inhalte zum Einsatz kommen, sondern auch die Individualisierung verschiedenster Medienströme weiter vorantreiben. Fabian Michel, Marketing Officer bei Retresco, schlägt in die gleiche Kerbe: „Data-driven Storytelling – wie es in Form informationsjournalistischer Berichterstattung bereits vorkommt – wird 2020 mehr und mehr zu Personalisierungszwecken eingesetzt.“ Auf diese Weise könne personalisierter Content nicht nur für eine*n individuelle*n Nutzer*in automatisch generiert, sondern auch zu dem Zeitpunkt und über den Kanal ausgespielt werden, der für sie oder ihn spezifisch der Optimalste ist.

Denkt man diesen Entwicklungsprozess noch einen Schritt weiter, landet man bei der Empfehlung von Inhalten, die anhand von Parametern wie Stimmung und Mobilitätssituation individuell auf Nutzer*innen abgestimmt werden. Vorstellbar wäre hier, dass verschiedene Content-Anbieter ihre  Inhalte über ein zentrales System auf einer offenen Plattform miteinander verbinden, sodass diese nach Kriterien wie Bedienung, Dauer und Verfügbarkeit von Bild und Ton, den Nutzer*innen empfohlen werden. Ein vereinfachtes Beispiel: Fährt Maximilian Mustermann Fahrrad, bekommt er einen Podcast vorgeschlagen, der sich von der Länge an seiner Reisedauer orientiert. Fährt er mit der U-Bahn, bekommt er wiederum Bewegtbild-Inhalte empfohlen. Hendrik Menz, Brand & Agency Sales Director bei Anzu.io, hat sich im Zuge der Content-Foresight-Reihe mit dieser Thematik intensiv auseinandergesetzt und ist davon überzeugt, dass die Realisierung solcher Gedankenspiele aus technologischer Sicht bereits umsetzbar wäre. Allerdings brauche es dafür eine noch lange Konsolidierungsphase, bis die Unzahl an Mobilitätsangeboten mit den Content-Produzent*innen zusammengeführt werden kann: „Eine nahtlose Reiseplanung unter Einbeziehung von individuell auf die Nutzungssituation zugeschnittenem Content bleibt daher zunächst noch Zukunftsmusik.“ Für 2020 sieht er vielmehr situationsunabhängigen Content im Kommen – als Vorstufe einer solchen zukünftigen Entwicklung. So lasse sich beispielsweise im Gaming-Bereich beobachten, dass nicht die Inhalte, sondern die Abspielgeräte und die entsprechenden Plattformen an die Mobilitätssituationen angepasst werden: „Im passiven Konsum von Streaming-Content bereits etabliert, wird es bei Spielen viel mehr situationsunabhängige Angebote ähnlich der Nintendo Switch geben. Ob zu Hause, unterwegs oder bei der Arbeit – Multi-Plattform-Games werden zunehmend auch unter Einbeziehung der realen Welt schnell angenommen und in kürzester Zeit hohe Verbreitung erfahren“, so Menz.

Zusammenfassend scheint der Trend im Bereich Storytelling für das kommende Jahr und darüber hinaus klar vorgegeben: Visuelle Elemente wie Fotos und Videos sind so bedeutend wie nie und werden in der Arbeit der Content-Produzent*innen dieser Welt auch in den nächsten Jahren einen immer größeren Raum einnehmen. Gepaart mit dem Einsatz KI-basierter Services, die Inhalte personalisieren und individuell ausspielen können, sowie einer Ortsunabhängigkeit der Medien und ihrer Abspielgeräte, scheinen die Voraussetzungen für neuartige Storytelling-Erlebnisse so aussichtsreich wie nie.

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