„Mit oder ohne Corona – es läuft auf kollaborativen Journalismus hinaus“
Hostwriter vernetzt Journalist*innen in über 150 Ländern und ermöglicht auf diese Weise neue Perspektiven und mehr Diversität in den Medien. Da verwundert es nicht, dass das deutsche Start-up gerade jetzt besonders gefragt ist. Wir haben uns mit Tabea Grzeszyk, Co-Founderin und CEO von Hostwriter, über die aktuellen Herausforderungen, die Zukunft des Journalismus und den richtigen Zeitpunkt für die Entwicklung von Ideen unterhalten.
COVID-19 hat das öffentliche Leben zum Stillstand gebracht: Veranstaltungen wurden abgesagt, der Fernverkehr nahezu eingestellt. Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf die Arbeit von Journalist*innen?
Die Auswirkungen auf den Journalismus zeigen sich in ganz vielen, verschiedenen Elementen. Im internationalen Journalismus wird das vor allem durch Reisebeschränkungen deutlich, da Journalist*innen schlichtweg nicht mehr an andere Orte kommen. Das merkt man auch an den Nachrichten, in denen sich derzeit viel auf das eigene Land fokussiert. Es gibt zwar ein paar Hotspots im Ausland, aus denen noch berichtet wird, aber dann wird es auch schon dünn.
Ganz viel Journalismus wird zudem von Freelancer*innen gemacht, für die die jetzige Phase natürlich eine reine Katastrophe ist. Vereinbarte Beiträge werden gestrichen, nur in seltenen Fällen werden Ausfallhonorare gezahlt. Alles, was jenseits von Corona stattfindet, hat kein Publikum mehr, vor allem im Fernsehen. Da wird sehr viel eingestampft und damit haben vor allem die freien Journalist*innen sehr zu kämpfen.
Reporter ohne Grenzen haben auch kürzlich erst einen Bericht online gestellt, der zeigt, dass Regierungen auf der ganzen Welt die Krise zum Vorwand nehmen, die Pressefreiheit einzuschränken. Da passiert derzeit sehr viel unter dem Motto: Wir müssen Fake-News eindämmen und stellen dann auch gleich ungeliebte Berichterstattung kalt. Das ist eine reale Gefahr und insofern sind wir gerade jetzt sehr auf den Cross-Border-Journalismus und seine verschiedenen Perspektiven aus verschiedenen Ländern angewiesen.
Was bedeutet die Krise für Hostwriter?
Für uns bei Hostwriter ist die ganze Situation schon fast wie eine Art „Proof of Concept“, vor einem tragischen und absurden Hintergrund natürlich. Wir sagen immer: Die Zukunft des Journalismus ist kollaborativ und genau das sieht man jetzt sehr klar. Wir beobachten, dass viele Redaktionen, vor allem kleinere Magazine und Start-ups, nicht mehr ihre eigenen Leute schicken können, wodurch die Nachfrage nach unserem Produkt stark gestiegen ist. Wir haben innerhalb unserer Chatrooms einen spürbaren Anstieg an Anfragen wahrgenommen: Auch Redaktionen suchen Autor*innen, weil sie entweder ihre Leute nicht schicken können oder andere, lokale Geschichten aus Ländern und Regionen erzählen wollen, aus denen man nicht so viel hört. Aber natürlich trifft Corona auch uns. Wir mussten unsere Programme verschieben und unser Fundraising musste auf Eis gelegt werden. Wir haben daher auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um unsere Finanzierungslücke zu schließen.
Wie könnt ihr in der jetzigen Situation konkret Hilfestellung leisten?
Wir wollen hier eine Art Brückenfunktion einnehmen. Wir haben uns ja zunächst gegründet, um Cross-Border-Journalismus unter Kolleg*innen zu ermöglichen. Und jetzt verbinden wir auch Kolleg*innen mit Redaktionen – das ist für uns eine spannende Weiterentwicklung. Wir fühlen uns da wirklich als Teil einer Bewegung, des kollaborativen Journalismus der Zukunft. Wir wollen solche Arbeit global für alle zugänglich machen.
Wird sich dieser Trend auch nach der Corona-Pandemie fortsetzen?
Ich gehe davon aus, dass das sowieso die Zukunft ist! Vor allem aus finanzieller Sicht. Journalismus hat eine total wichtige Funktion für das gesellschaftliche Zusammenleben, ist in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem allerdings nur sehr schwer umsetzbar. Ganz ehrlich: Mit oder ohne Corona – es wird auf Cross-Border-Journalismus hinauslaufen, wenn man dem Anspruch der Presse als vierte Gewalt gerecht werden will. Dazu muss man auch bedenken: Hier in Deutschland ist die Sicht auf die Welt ein wenig privilegiert, denn in liberalen Demokratien leben die aller wenigsten Menschen dieser Welt. Die Pressefreiheit, die wir erleben, ist nicht der Alltag der meisten Journalist*innen. Der Cross-Border-Journalismus hat daher für andere Länder eine noch viel größere Bedeutung, weil er oft die einzige Möglichkeit ist, an Informationen und Nachrichten zu kommen.
Die gegenwärtige Krise kann auch eine Chance seine, derartige Entwicklungen verstärkt voranzutreiben. Ist jetzt der Zeitpunkt, um journalistische Ideen einfach mal auszuprobieren?
Viele Gründer*innen kennen das: Man brennt für eine Idee und „once in a lifetime“ gibt es diese Chance. Man wäre dann schon blöd, das nicht zu probieren. Das hätte ich mir auch niemals verziehen, auch bei uns war es so. Der Anstoß kam von mir nach einem Couchsurfing-Trip und wir haben die Plattform in der Folge zu dritt kontinuierlich weiterentwickelt. Es ging dann schnell um gemeinsame Recherchen, um Unterstützung und ein Solidaritätsnetzwerk. Das ganze Projekt war erstmal nur als ehrenamtliches Ding gedacht und wir sind glücklicherweise ein bisschen vom Erfolg überrollt worden. Ende 2016 haben wir dann eine institutionelle Förderung erhalten, mit der wir Teilzeit-Stellen schaffen und uns den Luxus leisten konnten, unsere Zeit für das Projekt zu blocken. Das hat dann natürlich auch süchtig gemacht: Es hat Spaß gebracht, man hatte erste Erfolge und dann kam eine weitere Förderung dazu.
Mit dem kurzfristig ins Leben gerufenen Förderprogramm Fast Mover wollen auch wir von nextMedia.Hamburg Projekte unterstützen, die Antworten auf aktuelle Herausforderungen im Journalismus liefern. Warum sind solche Förderungen so wichtig?
Natürlich brennt man für die Idee und macht dafür alles. Aber ich glaube es ist auch wichtig, ein wenig pragmatisch zu gucken. Mir blutet das Herz, weil gerade im journalistischen Bereich sehr idealistisch gedacht wird. Ich habe zu viele Initiativen erlebt, in die die Leute sehr viel reingeworfen haben und dann ausgeblutet sind, weil irgendwann auch die Miete gezahlt werden musste und man sich das nicht mehr leisten konnte. Und in diesem Punkt hab ich mich auch schon mal mit Kolleg*innen gestritten, die auf das Ehrenamt gepocht haben. Aber das finde ich eine sehr privilegierte Haltung. Denn ein Ehrenamt muss man sich auch erstmal leisten können. Start-ups sollten nicht nur die machen können, die es sich leisten können, unbezahlt zu arbeiten. Daher finde ich Förderprogramme wie Fast Mover, die journalistische Ideen fördern, ungemein wichtig.
Ihr habt einen Lösungsansatz für aktuelle Herausforderungen des Journalismus und wollt diese Idee verwirklichen? Dann bewerbt euch bis zum 8. April, 12 Uhr, für unser neues Förderprogamm Fast Mover.
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