Die hoλos-Gründer*innen Mohamad Hamed Jalalzada (CEO, links) und Marie König (CTO, rechts).

Mit hoλos wird jede Glasfläche der Welt zu einer digitalen Anzeigefläche

Sieht so die Zukunft der Werbung aus?

„Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“ Dieses Zitat von US-Autobauer Henry Ford (1863-1946) ist oft zitiert, aber die digitale Welt hat es ein Stück weit relativiert. Werbung wird dort nicht grob ausgerichtet, sondern granular genau ausgespielt: Microtargeting erlaubt es, dass Anzeigen für einen Turnschuh genau jenen angezeigt werden, die gerade oder vielleicht vor einigen Tagen nach genau diesem Turnschuh gesucht haben. Die reale Welt hinkt hinterher – zumindest bisher! Denn das Hamburger Start-up hoλos will auch den Markt der Außenwerbung persönlicher machen. Wie? Mit Spezialfolien und Künstlicher Intelligenz.

„Wir wollen jede Glasscheibe der Welt zu einer digitalen Werbefläche machen“, erklärt Mohamad Hamed Jalalzada, CEO von hoλos. „Wir tracken Personen, analysieren deren Geschlecht, Alter und Laune sowie äußere Merkmale und spielen dann entsprechend personalisierte Werbung aus.“ Ladeninhaber*innen können also durch das hoλos-System sehen, wer in ihrem Geschäft war, welches Geschlecht und Alter ihre Kund*innen hatten und auf Basis dessen dann ihre Produktpalette optimieren. Dabei kann je nach Geschlecht und Altersgruppe unterschiedliche Werbung platziert und somit verhindert werden, dass beispielsweise ein 40-jähriger Mann Werbung für ein Kinderspielzeug angezeigt bekommt. Wichtig ist hoλos dabei: „Wir tracken nur, verwenden ausschließlich anonymisierte Daten und speichern nichts“, verspricht Jalalzada.

Ursprünglich war die Idee für die Automobilindustrie gedacht: Jalalzada und seine Kolleg*innen – Marie König (CTO), Nader Jalalzada (Sales Director) und Ekaterine Gelashvili (CFO) – wollten Menschenleben retten, indem sie eine transparente Folie in die Windschutzscheibe integrieren und somit die Ablenkung am Steuer durch 3D-Navigation reduzieren. Dafür haben sie eine Förderung vom Bundeswirtschaftsministerium bekommen. Wegen der Corona-Pandemie und der schwierigen Lage der Automobilhersteller musste hoλos das Geschäftsmodell jedoch schnell anpassen –  so kam das Team auf die Idee mit der gezielten Außenwerbung.

Gezielte Werbung ist in der Onlinewelt die Gelddruckmaschine großer Konzerne, sie ist Googles Haupteinnahmequelle. Doch die Technologie ist keineswegs unumstritten. Gerade in Deutschland ist man zurückhaltend, was Überwachung jeder Art angeht – und sei es nur die gefühlte, wenn etwa ein vor Tagen angeschauter Turnschuh die Nutzer*innen durch die Werbeanzeigen des halben Internets verfolgt.

Diese Zurückhaltung der Deutschen ist kulturell bedingt: Die Erfahrungen mit Gestapo und Stasi und die staatskritische 68er-Generation führten zu massiven Protesten gegen die vergleichsweise harmlose Volkszählung in den 80er Jahren und schließlich, mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, zur Geburt des Datenschutzes, wie wir ihn heute kennen. Das EU-Datenschutzrecht läutet bald das Ende der Cookies ein, also jener Technologie, die heute noch maßgeblich für personalisierte Werbung verwendet wird.

Doch das Tracking – insbesondere das feingranulare Microtargeting – im Netz wird auch aus ganz anderen Gründen bezweifelt: Weil es eventuell überhaupt nicht so gut funktioniert wie behauptet. Der niederländische Radiosender NPO feiert gerade beachtliche Erfolge, seitdem er das Tracking auf den eigenen Seiten komplett abgestellt hat. Stattdessen ist die Werbung auf den Kontext der dargestellten Inhalte angepasst, schaut also gerade nicht auf die konkreten Nutzer*innen. Das spart die hohen Provisionen an Google und andere Tech-Unternehmen – und ist datenschutzkonform, ganz ohne Einwilligung.

Jalalzada ist sich der kulturellen Besonderheiten in Deutschland bewusst. Seit Juli läuft in der Hamburger Meile, dem längsten Einkaufszentrum Europas, ein Pilotprojekt, mit dem hoλos die Wirkung personalisierter Werbung testen will. „Unser System soll die Menschen nicht durch zu viele Informationen abschrecken, die Werbung soll subtil wirken“, erklärt der Ingenieur, „vor allem wollen wir verhindern, dass sich die Menschen hintergangen fühlen und nicht wissen, dass sie gefilmt werden.“ Aus diesem Grund habe man die Kamera im Moment „gut sichtbar im Vordergrund platziert“ und wolle so Erfahrungen zur Akzeptanz der Kunden sammeln. hoλos speichere die Daten zudem nicht, sondern zeige nur die zielgerichtete Werbung.

Ein Bild des Pilotprojekts von hoλos. Oben auf dem Regal gut erkennbar: die individuell angepasste Werbung.

Dass CEO Jalalzada und sein Team ihr Produkt so souverän erklären und mit Geschäftsführer*innen verhandeln können, habe er MEDIA LIFT zu verdanken, dem Start-up-Inkubator von nextMedia.Hamburg, der sie (und vier weitere innovative Geschäftsideen aus den Bereichen Content und Tech) sowohl fachlich als auch finanziell unterstützt. „Durch die tollen Coaches und Mentor*innen haben wir jetzt schon mehr über das eigene Unternehmen gelernt als in dem gesamten letzten Jahr. Dadurch, dass Marie und ich Ingenieure sind und bisher hauptsächlich nur am Produkt gearbeitet haben, hatten wir nicht viel Erfahrung im Bereich Vertrieb und Verhandlungen.“

Der Markt für Digitale Außenwerbung (DOOH – Digital Out of Home), den hoλos im Blick hat, ist vielversprechend: Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. gab in der Bilanz für 2019 digitale Außenwerbung als einen der großen Gewinner aus – um fast 40 Prozent stiegen die Netto-Werbeeinnahmen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr. 98 Prozent der Deutschen hätten einen der 126.000 öffentlichen digitalen Bildschirme schon einmal wahrgenommen, berichtet das Digital Media Institute. Und 74 Prozent aller Deutschen über 14 Jahre kommen innerhalb einer Woche mindestens einmal mit einem digitalen Out-of-Home-Werbeträger in Berührung, zeigt die „Public & Private Screens Studie 2019/2020“ (PDF). Allerdings werden im Zuge der Pandemie auch Budgets gestrichen – allein für den April gibt der ZAW über alle Werbeträger einen Rückgang von 40 Prozent an. Große Unternehmen der Außenwerbung wie Ströer, JCDecaux und Clear Channel rechnen aufgrund der Pandemie mit drastischen Rückgängen.

Sobald sich die Autoindustrie wieder berappelt, lässt sich womöglich auch die Ursprungsidee wieder umsetzen. Doch auch die Corona-Pandemie könnte hoλos noch in die Hände spielen: Denn auch die vielen Plexiglasscheiben als Schutzwände etwa in der Gastronomie oder im Handel bieten bisher ungenutzte Werbefläche – und damit eine Chance für hoλos. Jalalzada hat da schon eine Idee: „Wir wollen bald auch für diese Flächen transparente Displays entwickeln, um dort Informationen einzublenden oder Werbung darzustellen.“

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