Wie Machine Learning unser Lernen revolutionieren kann

Hipster scannen fürs Vokabeltraining

Das Schuljahr hat begonnen und pandemiebedingt bedeutet das eine Menge Stress und Enttäuschungen. Die Ausstattung der Schulen ist verbesserungswürdig, zwei Drittel der Lehrer können im Falle einer Schulschließung nicht auf digitalen Unterricht umschalten. Dabei könnte Technologie das Lernen revolutionieren: Wenn man etwa Erkenntnisse der Lernpsychologie und neueste Entwicklungen der Objekterkennung kombiniert. Genau das hat das Start-up Hello World vor.

Objekterkennung ist ein Technologietrend, der erst allmählich ins Bewusstsein der Allgemeinheit durchdringt. Im Jahr 2014 stellte die damals recht erfolgreiche Bilderplattform Flickr eine interessante Frage: „Vogel oder Park“? Nutzer*innen konnten Bilder hochladen und Flickr teilte dann mit, ob sie einen Park oder einen Vogel zeigten (Hintergrund dieser Frage ist übrigens dieser XKCD-Comic). Es war revolutionär. Heute kann die Fotosammlung auf dem Handy Bilder von bestimmten Dingen anzeigen, wenn man danach sucht – ohne, dass man die Bilder vorher verschlagwortet hat. Die Welt steht an der Schwelle zur universalen Objekterkennung: Gesichter, Augen, Menschen und sogar Lebensmittel lassen sich mittlerweile mit Smartphones erkennen.

Hello World verwendet die Objekterkennung in der Smartphonekamera, um das Vokabellernen zu vereinfachen. „Wir nutzen Technologien wie Machine Learning, Object Recognition, Deep Learning und Augmented Reality, um Sprachenlernen für Nutzer*innen interessanter, relevanter und effektiver zu gestalten“, erklärt Alexander Höpker, der das Unternehmen mit Jeremy Tai Abbett und Tungi Dang gegründet hat. „Wenn man zum Beispiel im Urlaub in Frankreich Fotos mit dem Handy macht, erkennt die App die Objekte in den Fotos und fragt, ob man die heute lernen möchte.“ Das gegenwärtige Bildungssystem kümmere sich nicht darum, wie Menschen mit Medien lernen, heißt es bei Hello World. 

Die App erkennt auf dem Bild einer Frau etwa nicht nur die Frau, sondern die Brille, die sie trägt, eine Flasche in der Hand, den Stuhl und ihre Schuhe. Die Plattform soll selbst wiederum durch Nutzer*innen die Nuancen der Sprache erlernen. Wie gut das funktioniert, habe ihn selbst überrascht: Eine Testperson mit Mütze, Vollbart und Brille betitelte die App nicht nur als „Hipster“, sondern auch als „Barkeeper“ – und tatsächlich: Im Bildhintergrund standen ein paar Flaschen. Aus diesem Kontext erschloss der Algorithmus, dass die Person ein Barkeeper sein könne.

Die Idee von Hello World setzt auf Erkenntnissen der Psychologie auf: Die Wissenschaft hat inzwischen vieles über das Lernen erforscht.  „Die Art, wie wir derzeit lernen, ist ein Erbe aus dem industriellen Zeitalter“, sagt Höpker, „da wird wenig Wissenschaft des Lernens angewendet“. Der soziale Kontext sei wichtig, visuelle Reize und der Bezug zum eigenen Leben. Auch Bewegung spiele eine Rolle: Als Student sei er mit dem Zug durch die Gegend gefahren, weil er sich dann den Lernstoff besser merken konnte. Selbst ohne eigene Fotografien könne man schon stärker involviert sein, wenn man aus zwei Bildern auswähle, mit denen man nun das Wort „Erdbeere“ auf spanisch lernen wolle. 

Der Zeitpunkt für die Umsetzung ihrer Idee sei ideal, die Menschen verfügten über Technologien wie moderne Smartphones und Cloud-Systeme, zudem sei die Globalisierung ein Treiber des Arbeitsmarktes. Im Markt steckt viel Geld. In der EU geben die Staaten beispielsweise etwa 5 Prozent des BIPs für Bildung aus – hinzu kommen private Investitionen. Außerdem sind Auslandsaufenthalte – der vielleicht beste Weg zum Sprachenlernen – derzeit aufgrund der Pandemie schwierig oder sogar unmöglich geworden.

Corona hat auf der anderen Seite aber natürlich auch den Start erschwert: Nachdem sich das Team beim Hackathon von nextMedia.Hamburg zusammengefunden hatte und im April in das Inkubatorprogramm aufgenommen wurde, durfte sich die drei Gründer erst im Mal das erste Mal wieder physisch sehen. Zuvor lief alles digital ab. „Die verschiedenen und vielseitigen Workshops haben uns sehr geholfen Dinge im laufenden Entwicklungsprozess neu oder anders zu betrachten“, sagt Höpker rückblickend.

Eine Sprache zu lernen hält Höpker trotz großer Fortschritte im Bereich Übersetzungs- und Dolmetschtechnologie für sinnvoll. „Es ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für unser Gehirn und einige Neurowissenschaftler*innen sind der Meinung, dass Menschen, die mehrere Sprachen erlernt haben, kognitive Vorteile haben und die Wahrscheinlichkeit, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken, sinkt.“ Zudem werde der Austausch zwischen verschiedenen Kulturen und Ländern immer wichtiger.

Hello World will nun zwar mit dem Sprachenlernen beginnen, betrachtet das Thema Lernen aber als Ganzes, sagt Höpker. „Sprachenlernen ist nur der Beginn – letztendlich geht es darum, Wege und Möglichkeiten zu entwickeln, die das Lernen in allen Bereichen effizienter und besser machen.“

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