Sevda Can Arslan arbeitet als Wissenschaftlerin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München.

Dr. Sevda Arslans konkrete Utopie für die Zukunft der Medien

In Workshops und mit Hilfe von Experteninterviews will Dr. Sevda Arslan (LMU München) in ihrem „Media Future Lab“ herausfinden, was wir als Gesellschaft von Medienangeboten erwarten. Erste Antworten präsentierte sie bei ihrem nextMedia.Hamburg–Slot bei Mind the Progress. Wir haben uns die Kommunikationswissenschaftlerin im Anschluss an ihren Auftritt im Hamburger Oberhafen zum Interview geschnappt und uns mit ihr über Wunschbilder, Medienrealitäten und Marginalisierung unterhalten.

Zurzeit forschen Sie im „Media Future Lab“ zu einer konkreten Utopie für die Zukunft der Medien. Ist die Medienrealität wirklich so düster, dass es schon ein Wunschbild benötigt, an dem wir uns orientieren?

Oh ja, die Medienrealität ist düster. Es gab und gibt ja immer wieder Kritik an den Medien, in den letzten Jahren ist diese Kritik allerdings noch deutlicher und aus ganz vielen verschiedenen Richtungen artikuliert worden. Da aber Meckern alleine nichts nützt, haben wir uns gedacht: Wir schauen vorwärts und überlegen, wie wir etwas entwickeln, an dem sich die Leute orientieren können. Vielleicht können wir ja Menschen dazu inspirieren, etwas zu ändern.

Ihrem Vortrag vorhin konnte man entnehmen, dass Transparenz dabei eine zentrale Rolle einnimmt. Wie sind sie zu dieser Erkenntnis gekommen?

Das wird so bereits in Medienhäusern, in der Wissenschaft, aber auch von den Rezipient*innen selbst formuliert. So muss es vor allem darum gehen, verständlich zu machen, wie man als Journalist*in überhaupt zu einer Geschichte kommt, die man schreibt. Das steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der gebrochenen Deutungshoheit: Man glaubt nicht mehr alles, was berichtet wird, sondern vermutet, dass auch die Interessen der Journalist*innen in Texte einfließen. Damit man als mündige*r Nutzer*in die Leistung der Journalisten entsprechend einsortieren kann, ist das Offenlegen dieser Interessen essentiell.

Als auf Rügen zwei verendete Vögel gefunden wurden, titelte ein großes deutsches Boulevard-Massenblatt: „Die Todesinsel“. Brauchen wir vielleicht auch deshalb eine Utopie, weil sich Medien ihre eigene Medienrealität schaffen?

Die Skandalisierung und Übertreibung von hochwertigen journalistischen Formaten (lacht ironisch) auf Negativschlagzeilen wird häufig kritisiert und das auch zu Recht. Der Journalismus fragt sich generell immer häufiger,  ob er nur skandalierende und furchtbare Nachrichten bringen will oder ob man nicht auch etwas Gutes sagen kann, das die Menschen voran bringt. So hat sich mittlerweile das Konzept des „Konstruktiven Journalismus“ entwickelt.

Um zum Thema Medienrealität zurückzukommen: Klar, die Medien schaffen sich eigene Medienrealitäten. Journalist*innen filtern aus den vielen Sachen, die in der Welt passieren, die wichtigsten Informationen raus und erbringen so eine Selektions- und Interpretationsleistung. Wenn ich als Journalistin tätig bin, dann überlege ich mir, welche Informationen nach bestimmten Kriterien relevant sind. Daraus erschließe ich mir wiederum relevante Kriterien und überlege mir, wie ich formuliere, verstehe und weitergebe – ebenfalls nach bestimmten Kriterien. Deswegen kann ein Bericht niemals ein Abbild einer vermeintlich objektiv erfassbaren Realität sein.

Medien von heute wird häufig vorgeworfen, relevante Inhalte danach zu bestimmen, was der Markt ihnen vorschreibt. Ist es aber nicht im Sinne der Rezipienten*innen, wenn Medien dem Diktat der Leser*innenschaft folgen und Inhalte veröffentlichten, die Nutzer*innen auch wirklich interessieren?

Wenn man sieht, wie viel Cat-Content im Social Web abgerufen wird, könnte man vermuten, dass sich die Nutzer*innen vor allen Dingen für kleine Kätzchen interessieren. (lacht) Genau deswegen gibt es auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die nicht auf die Zuschauerquoten angewiesen sind. Diese können ein Programm kuratieren, das für die Berichtserstattung aus bestimmten Überlegungen relevant ist, völlig unabhängig von der Zuschauer*innenquote. Generell sollten sich Medienmacher*innen und Zuschauer*innen immer wieder abstimmen und abstecken, was die Rezipient*innen eigentlich wirklich interessiert.  Da gibt es mittlerweile auch schon interessante Modelle, die genossenschaftlich funktionieren und wo Leser*innen und Redaktion gemeinsam den zukünftigen Inhalt besprechen. Die direkte Auseinandersetzung und Abstimmung ist meiner Meinung nach die sinnvollste Variante. Denn wenn man das Nutzer*inneninteresse anhand der Zuschauerzahlen misst und möglicherweise falsch misst, bleibt das eigentliche Interesse auf der Strecke.

Beim Mind the Progress-Slot war die Teilhabe und Repräsentation bisher marginalisierter Gruppen Thema. Tragen Medien dazu bei, Menschen zu marginalisieren?

Ja, und zwar auf verschiedene Art und Weisen.  Im Grunde lässt es sich in drei Ebenen erklären. So wird zum einen vor allem die selektive und stereotype Berichterstattung von Migrant*innen kritisiert. Statt beispielsweise die rassistischen Morde des NSU an Migrant*innen als solche zu benennen, titelten Zeitungen „Döner-Morde“ – beim späteren Gerichtsverfahren standen dann die Täter*innen statt der Opfer im Vordergrund der Berichterstattung. Genauso muss im Bereich der Produktion dringend für mehr Vielfalt gesorgt werden. Dass der durchschnittliche Journalist eben nicht über 40 und weiß ist, sondern auch andere Gruppen der Gesellschaft in Redaktionen stattfinden. Der dritte Teil, der zur Marginalisierung beiträgt, ist die Form der Vermittlung. Wenn ich eine Tagesschau habe, die Menschen aufgrund der Sprache nicht verstehen können, trägt das natürlich auch dazu bei, dass keine Teilhabe möglich ist.

Und zum Abschluss nochmal ein wenig Fiktion: Stellen Sie sich vor, Sie säßen vor einer Jury und haben fünf Minuten Zeit, Ihre Idee von den Medienangeboten der Zukunft zu pitchen. Was würden Sie sagen?

Ich würde sagen: Lasst uns Räume schaffen,  in denen Menschen ihre Bedürfnisse hinsichtlich der Medienangebote entwickeln und artikulieren können – und daran sollen sich die Medien dann orientieren.

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