Andre Kiehne ist Lead Specialist Sales & Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Bildcredit: Microsoft

Andre Kiehne (Microsoft) im Interview

Vom 28. Februar bis zum 2. März findet in Hamburg die Social Media Week statt. Am finalen Veranstaltungstag bittet nextMedia.Hamburg zur Diskussion: „Artificial Storytelling – Wie Künstliche Intelligenz Inhalte verändert“ ist das Thema des Panels bei dem Andre Kiehne auf Christina Elmer (Spiegel), Larissa Greth (Jung von Matt) und Johannes Sommer (Retresco) trifft. Wir haben vorab mit ihm gesprochen.

Als Lead Specialist Sales & Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland sind Sie auch für den Bereich künstliche Intelligenz zuständig. In welchen Microsoft-Projekten kommt KI schon zum Einsatz?

Künstliche Intelligenz spielt heute in vielen Bereichen eine immer wichtigere Rolle. Natürlich auch bei uns. Microsoft bietet zum einen eine breite Palette von Werkzeugen und Plattformen für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz an, setzt KI aber auch in eigenen Produkten ein. So bieten wir auf Basis von Microsoft Azure zum Beispiel Cognitive Services, Machine-Learning-Dienste und den Azure-Bot-Service an. 

Cognitive Services ist eine Sammlung von intelligenten Diensten für das maschinelle Erkennen unter anderem von Sprache, Bildern oder Gefühlen, die für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und die Weiterverarbeitung über Algorithmen unerlässlich sind. Machine-Learning-Dienste dienen dazu, große Mengen von Daten zu analysieren und Entscheidungen vorzubereiten oder automatisiert zu treffen. Und über den Azure-Bot-Service lassen sich intelligente Bots erstellen, die auf natürliche Weise mit Menschen kommunizieren.

Zu den Microsoft-Anwendungen, die selbst diese Services nutzen, gehört zum Beispiel Seeing AI, eine Smartphone-App, die Menschen mit eingeschränkten visuellen Fähigkeiten die unmittelbare Umgebung erklärt und ihnen so die Teilhabe am Alltag erleichtert. Wir nutzen KI-Funktionen auch in Office 365, in Skype oder in Chatbots. Es sind am Ende zu viele, um sie alle aufzuzählen, deshalb finden Sie hier eine Übersicht dazu.

Arbeitsplatz-Automatisierung, Wählermanipulationen, Cyberkriminalität: Entstehen die größten Herausforderungen der künstlichen Intelligenz nicht erst dann, wenn sie in ihrem eigentlichen Ziel erfolgreich ist, alle Aspekte menschlicher Intelligenz zu übertreffen?

Ich sehe weniger abstrakte Herausforderungen durch künstliche Intelligenz, sondern mehr konkrete Aufgaben, die wir beim Design intelligenter Maschinen zu lösen haben. KI ist ja nichts, was uns passiert, sondern etwas, das wir schaffen. 

Wir bei Microsoft haben ethische Prinzipien formuliert, die dabei beachtet werden müssen. Dazu gehören Fairness, Vertrauenswürdigkeit, Wahrung der Privatsphäre, Inklusivität, Transparenz und Verantwortung für unser Handeln. Sie werden uns dabei helfen, die Möglichkeiten der Entwicklung von KI zu erweitern, aber ethische Grenzen dabei nicht zu überschreiten.

Zu Gast beim Panel von nextMedia.Hamburg auf der Social Media Week werden Sie gemeinsam mit Christina Elmer (Datenjournalistin, Spiegel) und Christian Gast (Head of Strategy, Jung von Matt) über Storytelling mit Artifical Intelligence diskutieren. Wie sehen Geschichten aus, die von datengetriebenen Prozessen erzählt werden?

Andre Kiehne: Die wahren Experten für Storytelling sitzen mit mir zusammen auf dem Panel: Christina Elmer und Christian Gast werden dazu deutlich mehr sagen können. 

Ich aber sicher dazu beitragen zu verstehen, wie KI-Technologien von Microsoft modernes Storytelling unterstützen können. Die Grundlage, um gute Geschichten zu erzählen, sind Daten. Die Cognitive Services und die Machine-Learning-Tools von Microsoft können dabei helfen, diese Daten zu gewinnen und zu verarbeiten. 

Der Fortschritt bei KI wird irgendwann dazu führen, dass Maschinen, also Computer, „eigenständig“ entscheiden werden, welche Informationen sie für eine gute Geschichte brauchen und verwenden. Sie werden dabei „lernen“, was relevant ist und was nicht. Die Anführungszeichen stehen übrigens dafür, dass sie dabei nicht wie Menschen agieren werden, sondern „nur“ wie intelligente Maschinen, die Menschen, in diesem Fall Journalisten, bei ihrer Arbeit unterstützen und besser machen. 

Maschinen könnten zum Beispiel in eher standardisierten Berichtsformen – Börse, Wetter, Sport – Menschen viel Arbeit abnehmen. Für diesen „Robojournalismus“ gibt es ja auch schon Beispiele. So setzt Associated Press (AP) auf Algorithmen, um automatische Berichte über Geschäftsergebnisse, Wettervorhersagen und historische Ereignisse zu generieren. Die Nachrichtenagentur Reuters nutzt Azure Machine Learning, um passende Videos zu ihren Nachrichten zu empfehlen und wertet damit ihre eigenen Geschichten deutlich auf. 

Die visuelle Darstellung von Daten, Rechercheergebnissen und -erkenntnissen wird immer wichtiger; Grafiken können Geschichten ergänzen, aber sie können auch Geschichten anschaulich erzählen. Auch solche visuellen Ansätze des Storytellings unterstützen wir – beispielsweise mit Power BI, eine Suite von Business-Analytics-Tools, die bei der aussagekräftigen grafischen Aufbereitung von Daten unterstützt.

Und noch eine Eigenschaft von KI ist für guten Journalismus wichtig: Maschinen sind wahnsinnig schnell und gut darin, Daten nach bestimmten Mustern zu durchforsten. Auch dafür gibt es ein schönes Beispiel, die Recherche in den Akten zum Mord an John F. Kennedy 1963. Wir von Microsoft haben eine Webseite gebaut, die Azure AI-Technologien nutzt, um aus der ungeordneten Fülle von zunächst rund 6.000 freigegebenen (deklassifizierten) Dokumenten mit 34.000 Seiten eine Sammlung geordneter Informationen zu machen, die leichter zu recherchieren sind. Das Projekt befindet sich noch in einem frühen Stadium, aber ich bin sehr gespannt, zu welchen Erkenntnissen diese Recherche führen wird.

Diese Beispiele und Szenarien geben einen Einblick in die Möglichkeiten, die KI für den Journalismus bietet, und ich freue mich sehr darauf, mit den Profis auf dem Panel darüber zu sprechen, wie KI das journalistische Arbeiten konkret und darüber hinaus verändern wird.

Neuronale Netze können so trainiert werden, dass sie eigenständig lernen. Kann künstliche Intelligenz sogar dabei helfen, neue kreative Wege zu beschreiten?

Es gibt das berühmte Beispiel aus den Niederlanden – The Next Rembrandt –, bei dem KI darauf trainiert wurde, wie Rembrandt zu denken und zu malen. Das Ziel, mögliche Fälschungen deutlich schneller und vor allem sicherer aufzuklären. Am Ende hat der Computer selbst ein Bild geschaffen, das aussieht, als sei es von Rembrandt. 18 Monate haben Wissenschaftler der Technischen Uni Delft und KI-Experten von Microsoft an dem Projekt gearbeitet. Das Bild wirkt verblüffend authentisch, aber kreativ ist das nicht, was der Computer gemacht hat. 

Menschen sind kreativ, Computer können sie dabei unterstützen, ihnen den Rücken freihalten oder Werkzeuge bieten, die kreatives Arbeiten erleichtern.

Und zum Abschluss wagen wir noch den Blick in die Glaskugel: Welche Rolle wird künstliche Intelligenz in zehn Jahren in der Medien- und Tech-Branche spielen?

KI wird in jeder Branche und jeder Industrie eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Die genannten Beispiele zeigen ja schon recht eindrücklich, was es heute schon gibt. Wir werden „morgen“ immer mehr Rechenleistung zur Verfügung haben, die uns mit immer besseren Algorithmen bei der intelligenten Analyse der exponetiell anwachsenden Datenmengen unterstützt. Die Grenzen der Vorstellung, was wir im Journalismus, in den Medien damit machen, setzt uns nur unsere Phantasie. Ich denke, dass es auch in zehn Jahren Menschen sein werden, die diese Technologien für Menschen nutzen, keine Maschinen, die gegen den Menschen arbeiten. Das Team Mensch-Maschine wird unschlagbar sein. Woher ich das weiß? Wir machen das!

Andre Kiehne ist am 2. März zu Gast auf der Social Media Week Hamburg und diskurtiert mit Christina Elmer, Johannes Sommer und Larissa Greth über Artificial Storytelling auf unserem #SMWHH-Panel von 11 bis 12 Uhr.

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