Jedes Jahr blicken wir mithilfe von ausgewählten Expert*innen in die Zukunft der Medien- und Digitalbranche. Doch wie steht es eigentlich jetzt gerade um die Themen, mit denen wir uns in Zukunft beschäftigen werden? Was haben Metaverse und NFTs schon jetzt mit unserer Gesellschaft zu tun? Steckt die Zukunft des Journalismus in der Creator Economy? Und sind Cookies wirklich Schnee von gestern? Wir haben nachgefragt, wie die Menschen da draußen zu den Prognosen stehen, die unsere Expert*innen für die Zukunft treffen.
In unserem jährlichen Predictions-Format fragen wir Medien- und Digital-Expert*innen, welche Technologien und Innovationen das kommende Jahr bestimmen werden – und wie sie und bereits existierende Technologien unsere Gesellschaft prägen werden. Doch andersrum geht es auch: Gesellschaftliche Trends und politische Themen können Technologien notwendig machen, Entwicklungen in der Medien- und Digitalbranche prägen. So ist unsere Expertin Sara Schurmann, Journalistin für Zeit, Vice und funk und Teil des Netzwerks Klimajournalismus Deutschland der festen Überzeugung: „2022 muss das Jahr sein, in dem einer Mehrheit der Journalist*innen bewusst wird, wie akut die Klimakrise bereits ist.“
Ein Fünftel der Deutschen will mehr Berichterstattung über das Klima
Das ist nicht nur eine Expert*innenmeinung: Rund 20 Prozent der Deutschen wünschen sich mehr Berichterstattung zum Klima, und bei jüngeren Menschen zwischen 18 und 29 ist dieser Anteil mit 34,1 Prozent noch höher. Ähnlich verhält es sich mit der Häufigkeit, mit der journalistische Inhalte zum Klima konsumiert werden. Bundesweit geben zwar nur 17,4 Prozent der Befragten an, häufig Inhalte zum Klima zu konsumieren, doch unter den jüngeren Menschen setzen sich 28,3 Prozent vermehrt mit Klimajournalismus auseinander. Im Durchschnitt wünschen sich 34 Prozent der Befragten mehr Berichterstattung über mögliche Lösungen zur Klimakrise – ein Trend, der unter allen Altersgruppen gleich stark ausgeprägt ist.
Geht Meinungsvielfalt ohne False Balance?
Zugleich wünschen sich beinahe 40 Prozent der Befragten auch eine größere Meinungsvielfalt in der Berichterstattung über die Klimakrise. Ein Wunsch, der in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen besonders ausgeprägt ist: Hier geben sogar 48,9 Prozent an, sich mehr verschiedene Meinungen zum Klima zu wünschen. Diesen Wunsch angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise zu berücksichtigen, ohne dass in der öffentlichen Wahrnehmung eine False Balance entsteht, wird eine der zentralen Herausforderungen sein, die den Journalismus in den kommenden Jahren erwartet: „Wenn wir unsere Lebensgrundlagen sichern wollen, ist es zentral, dass Journalist*innen realistische Lösungen aufzeigen und konsequent anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse einordnen“, sagt unsere Expertin Sara Schurmann. „Dafür braucht es Fortbildungsangebote für Journalist*innen und eine vertiefte Debatte innerhalb der Branche.“
Mehr Prognosen über die Trends, die im kommenden Jahr bestimmen werden, welche Inhalte erzählt werden – und wie – findet ihr in unserem Longread zur Predictions-Kategorie Content & Storytelling.
Die Zukunft des Journalismus: Debundling!
Aber Moment mal, wie soll eine solche Herausforderung denn bewältigt werden, wenn der Journalismus doch gerade in einer Finanzierungskrise steckt? Paid Content und Paywalls sind nicht die Lösung, meint unsere Expertin Pia Frey vom Online-Meinungsforschungsdienst Opinary : „Mittlerweile haben alle Verlage, die auf direkte Umsätze von Nutzer*innen setzen, ihre Paywalls gebaut – und Ernüchterung über die Perspektive auf einen neuen Umsatzkanal hat eingesetzt: Die Bezahlbereitschaft für Nachrichtenangebote hat sich auf moderate 10 Prozent eingependelt.“ Die Antwort auf das Problem? Debundling! Einzelne Creator*innen machen vor, wie das geht, und die Nachfrage hat viele Angebote geschaffen, mit denen Konsument*innen ihre Lieblings-Creator*innen unterstützen können: „Substack, Patreon, Steady, Twitter, Paid Podcasts – die Möglichkeiten sind breit und vielfältig“, sagt Pia Frey. „Das öffnet einen neuen Markt, der in der klassischen Verlagswelt mit einiger Verspätung ankommt: Die Trendwende weg vom Vollsortiment und hin zum bezahlpflichtigen Spartenkanal.“
Die Mehrheit bevorzugt große Medienhäuser
Das sehen auch beinahe ein Fünftel der Deutschen so. In unserer Umfrage geben 18,9 Prozent der Befragten an, lieber für einzelne Angebote zu bezahlen als für ein Abonnement. Ein Trend, der über alle Altersgruppen und Einkommensklassen hinweg gleich stark ausgeprägt ist. Gleichzeitig bevorzugt nur ein sehr geringer Teil der Deutschen einzelne Influencer*innen gegenüber größeren Medienhäusern. Nur etwa 4 Prozent folgen mehr eigenständigen Influencer*innen und gerade mal 1 Prozent der Befragten würde für deren Content lieber bezahlen als für den größerer Verlage. Ausschlaggebend ist zum einen die vermeintlich höhere Qualität – 28,5 Prozent der Befragten sind der Meinung, die besten Inhalte kommen von Medienhäusern – und zum anderen die Vielfalt der Inhalte. 22,5 Prozent der Befragten geben an, eine breite Auswahl von Angeboten zu bevorzugen.
Wie sich Geschäftsmodelle in Zukunft weiterentwickeln werden, insbesondere die Creator Economy, der Streaming- und Audio-Markt, lest ihr in unserem Predictions-Longread zur Kategorie Business Model Innovation.
Das Ergebnis unserer Umfrage zeigt deutlich: Im Debundling steckt ein großes, bislang nur wenig genutztes Potential für die Monetarisierung von Inhalten. Das meint auch unsere Expertin Dr. Kerstin Fröhlich, Leiterin des Innovationsmanagements der Spiegel-Gruppe: „Medieninhalte werden immer mehr zu Vertriebsprodukten – Nutzer*innen zahlen direkt für Inhalte anstatt indirekt mit Daten im werbefinanzierten Reichweitenmodell.“ Um diesen neuen Vertriebsweg zu kuratieren, ist es auch wichtig, dass große Medienhäuser innovative Wege finden, um Mehrwert über die Inhalte hinaus anzubieten und so die Zahlungsbereitschaft zu erhöhen. Denn die Zeiten, in denen Website-Besucher*innen für Inhalte mit Cookies und Datennutzung bezahlen, sind vorbei. Das zeigt auch unsere Umfrage: Nur 9,3 Prozent der Teilnehmer*innen unserer Umfrage geben an, den Cookies einer Website ohne Anpassung zuzustimmen, wenn sie dafür kostenlose Inhalte konsumieren können.
Werbung und Datennutzung gehen nicht ohne Markenvertrauen
Das heißt allerdings nicht, dass Cookies und personalisierte Werbung verschwinden – nur, dass sie nicht mehr der einzige Weg sein werden, um Inhalte zu monetarisieren. Das meint auch unser Experte Achim Schlosser von der European netID Foundation. „2022 wird es um die Skalierung von Strategien/Technologien gehen: Plattformen werden weiter versuchen Funktionen rund um das Thema personalisierte Werbung direkt bei sich zu verankern, vom Reporting bis zum Re-Marketing“, sagt Schlosser. „Darüber hinaus wird sich auch die Frage stellen: Wie können Medien ihre Nutzer*innenansprache nachhaltig skalieren und mit welchem Geschäftsmodell – Paid, werbefinanziert, beides (PUR Modelle) – und wenn ja wie genau?“
Die Frage nach der Ansprache der Nutzer*innen ist dabei zentral. Denn beinahe ein Drittel der Deutschen, 29,2 Prozent, geben an, den Cookies einer Website zuzustimmen, wenn sie der Website oder dem Anbieter vertrauen. Etwa genauso viele, wie diejenigen, die Cookies zustimmen, wenn ihnen das Ablehnen zu schwer gemacht wird – mit dem Unterschied, dass ein transparenter Umgang auf Augenhöhe mit den Daten von Nutzer*innen einer Marke hilft, Vertrauen aufzubauen und Nutzer*innen an sie zu binden. Das meint Auch unser Experte Meik Vogler von der Digitalagentur Yours Truly: „Die Post Cookie Ära macht den Consent zum KPI – und lenkt damit den Fokus wieder auf das, was wirklich wichtig ist: die Qualität der Kommunikation. Wir werden sehen, dass Mediakanäle zunehmend danach bewertet werden, inwieweit sie qualitativ hochwertigen Traffic liefern. Und Marketer werden sich intensiv um eine inhaltliche und strukturelle Aufwertung ihrer eigenen Kanäle kümmern (müssen). Denn die Zustimmung der Kund*innen bekommen wir nur, wenn wir ihnen auch gute Inhalte liefern.“
Mehr Statements zur Zukunft der Medien, und wie sie unsere Gesellschaft verändern werden, findet ihr im Longread der Kategorie Media & Society.
Sind das Metaverse und NFTs die Zukunft der Medienbranche?
Zwei Technologien, von denen sich in diesem Jahr viele einen Paradigmenwechsel in der Digitalwelt erhoffen, sind das Metaverse und NFTs, wobei NFTs auch Hoffnungen für neue Geschäftsmodelle befeuert haben. Doch unsere Umfrage verdeutlicht: Es kann sehr lange dauern, bis neue Technologien in der Bevölkerung ankommen. Die Mehrheit (69,4 Prozent) der Befragten gibt an, weder das Metaverse noch NFTs, Blockchain oder ähnliche Begriffe gut genug zu kennen, um sie einem*r Freund*in zu erklären. Unter den Technologien, mit denen die Beteiligten ihrer Ansicht nach vertraut sind, liegen bereits etabliertere Begriffe wie VR-Headsets (21,1 Prozent) und Augmented Reality (16,1 Prozent) klar vorne. Je neuer die Begriffe dagegen sind, desto weniger bekannt sind sie unter den Befragten. So geben nur 5,2 Prozent der Befragten an, zu wissen, was das Metaverse sei, und nur 5,6 Prozent sind mit NFTs vertraut.
Doch die Nutzwerte dieser Technologien, insbesondere für Creator*innen, sind nicht zu unterschätzen: „Aus Creator*innen-Perspektive ist der NFT-Bedeutungsdreiklang – Community-Building, Fundraising, neue Wertschöpfungsketten – in Zukunft unverzichtbar“, meint unsere Expertin Amke Block von UN1K.ART. Denn durch NFTs wird eine stärkere Bindung zwischen Nutzer*innen und Creator*innen möglich: „Eine in beide Richtungen direkte Verbindung sowie die Möglichkeit, zum*r Investor*in oder gar Co-Creator*in zu werden, sind aus Fan-Sicht in höchstem Maße attraktiv. Fractional Ownership und Shared Royalties ermöglichen eine geradezu spielerische Beteiligung an neuen Werten, so dass tatsächlich eine Creator Economy entstehen kann.“
Vertrauen in digitale Welten noch sehr gering
Dieser Austausch könnte durch eine Technologie wie dem Metaverse noch eine zusätzliche Dimension erhalten. Doch in der breiten Masse ist das Vertrauen in digitale Parallelwelten noch sehr gering: Während 39,6 Prozent der Befragten angeben, das Metaverse nicht zu kennen, haben 16,1 Prozent Angst davor, und nur die wenigsten möchten selbst daran teilnehmen: 2,8 Prozent.
Wenn Creator*innen und Publisher in diesem Space erfolgreich agieren wollen, müssen sie ihren Fokus daher auf die Bedürfnisse ihrer Userbase legen und so verdeutlichen, welche Chancen das Metaverse für sie bietet, meint David Mattin, Autor des Tech-Newsletters New World Same Humans: „Die Contentbranche weiß längst um die Bedeutung von Gemeinschaften. Doch jetzt muss sie darüber nachdenken, wie sie Gemeinschaften innerhalb virtueller Welten aufbauen kann“, so Mattin. „Ein hybrides Internet verändert so vieles in Bezug auf soziale Kontakte, Unterhaltung und Arbeit. Der Schlüssel ist, sich zu fragen: Wie können wir die neue virtuelle Welt nutzen, um die tiefsten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen?“
Nachhaltiges Communitybuilding geht nur in der echten Welt
Allerdings wäre es falsch, Communitybuilding und Branding nur noch in digitalen Spaces betreiben zu wollen: Das Bedürfnis nach echten Verbindungen und der Dazugehörigkeit in einer Gemeinschaft ist heute noch größer denn je: „Es ist möglich, Communities online zu pflegen, aber die nachhaltigsten Bindungen zu anderen Community-Mitgliedern und deiner Marke entstehen, wenn sich Menschen im echten Leben treffen – zum Beispiel bei Meetups, Conventions oder ähnlichem“, sagt unser Experte Dominik Schönleben, Communitymanager bei dem Software Developer Niantic. „Herauszufinden, was dies für die eigene Marke bedeutet, wird zu einer wichtigen Aufgabe. Communities, die nur im Digitalen stattfinden, werden abgehängt.“
Wenn ihr mehr über NFTs, das Metaverse, digitale Communities und ihre Auswirkungen auf unsere Gesellschaft wissen wollt, lest euch die Expert*innen-Statements in den Longreads der Kategorien Enabling Technologies und Media & Society durch.
Andere Perspektiven
Wenn wir mit unseren Predictions in die Zukunft der Medien- und Digitalbranche blicken, bedeutet das für uns immer auch, unsere eigene Sichtweise als Insider*innen zu reflektieren. Ein Teil dieses Prozesses ist es, unsere Einstellung zu Technologien und die daraus abgeleiteten Prognosen zu hinterfragen und nach anderen Perspektiven zu suchen. Denn nur so können wir besser verstehen, wie unsere Gesellschaft auf neue Technologien und den Veränderungen, die sie mit sich bringen, reagiert und unsere Arbeit dahingehend ausrichten. Wir sind gespannt auf die Entwicklungen, die 2022 auf uns zukommen werden, und auf die Chancen und Herausforderungen, die neue Technologien, Geschäftsmodelle und gesellschaftliche Entwicklungen für die Content- und Medienbranche mit sich bringen. Wir freuen uns darauf, als erste Anlaufstelle für die Hamburger Content-Branche auch im nächsten Jahr wider für euch da sein zu dürfen. Bis dahin: In Hamburg sagt man „Tschüss“!
Das digitale Markt- und Meinungsforschungsunternehmen Civey hat im Auftrag von nextMedia.Hamburg zwischen dem 8. und dem 9. Dezember 2021 über 2.500 Bundesbürger*innen befragt. Der statistische Fehler der Gesamtergebnisse liegt bei 3,5 Prozent (Statements zum Metaverse) beziehungsweise 3,4 Prozent (Vertrautheit mit neuen Technologien, Klimajournalismus, Online-Inhalte und Cookies).