Neue Content-Trends von A wie Audio bis Z wie Gen Z
Kommt 2022 das Ende der pandemie-getriebenen Hypes? Welche Social Media-Trends bleiben, welche gehen? Auf welche Art von Content sollen Medienschaffende setzen – und auf welchen Kanälen? Wir haben im Rahmen der Predictions 20/22 fünf Expert*innen nach ihren Zukunftsprognosen im Bereich Content & Storytelling gefragt: Bühne frei für Juliane Leopold, Sara Schurmann, Marcus Bösch, Sophie Burger und Valerie Scholz.
Was war Clubhouse nochmal?
2021 sollte das große Audio-Jahr sein – und das war es auch. Direkt am Anfang des Jahres wurde die App Clubhouse für iOS-Geräte in Deutschland verfügbar und erreichte am 10. Januar den ersten Platz in der Download-Chart des deutschen App Stores. Lang blieb der Hype um die App allerdings nicht: aktuell kommt Clubhouse auf eine tägliche oder wöchentliche Nutzung von 0%. In einem Beitrag nannte der Business Insider Clubhouse ein „pandemic poster child” – also ein Beispiel für einen pandemie-getriebenen Hype, welcher sich nicht durchsetzen konnte. Geblieben sind nur Clubhouse-Klone von anderen Plattformen, wie zum Beispiel die Twitter-Funktion „Spaces“.
Trotzdem sollte Clubhouse nicht als ein Zeichen für das Ende des Audio-Booms gedeutet werden. Denn die Anzahl an Hörer*innen, die Podcasts zumindest selten hören, ist in den letzten vier Jahren konstant gestiegen, zuletzt sogar von 27% in 2020 auf 36% in 2021. Und auch Hörspiele und Hörbücher sind auf dem Vormarsch, 2021 mit einer Nettonutzung von 19%.
Der Fokus in 2022 bleibt also bei On-Demand-Audioangeboten, die Nutzer*innen besondere Erlebnisse anbieten können. Sophie Burger, Gründerin von Storydive, beschreibt das Potenzial wie folgt: „Dass Audio überall und einfach nebenbei genutzt werden kann, war in den letzten Jahren nicht nur Segen, sondern auch Fluch der Branche.“ Dabei gebe es große Chancen für Formate, die auf spezifische Hörsituationen eingehen und dadurch besondere Erlebnisse ermöglichen. Das gilt vor allem im Hinblick auf die veränderten Hörgewohnheiten in den letzten zwei Jahren, zum Beispiel durch weniger Autofahrten aufgrund der Pandemie und die dazugehörige Homeoffice-Erweiterung, wie von der ARD/ZDF-Onlinestudie erwähnt.
Eine Herausforderung der Contentbranche für das kommende Jahr wird also sein, diese veränderten Hörgewohnheiten zu verstehen – und die Chance zu ergreifen, dafür spezialisierte Produkte zu entwickeln. „Situationsbezogene Audioformate ermöglichen immersive und involvierende Erfahrungen, die die Hörer*innen in den Mittelpunkt stellen. Hören plus X – es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, wie Audioinhalte verschiedene Hörsituationen aufgreifen und für sich nutzen können“, fasst Sophie zusammen. Auf diesen Trend setzt sie bereits mit ihrem Start-up Storydive, eine Plattform für interaktive und ortsunabhängige Audiowalks, die wir in Batch 3 unseres Inkubators Media Lift gefördert haben. Weitere Inspiration liefern zum Beispiel Runtime, eine Podcast-App für Läufer, die nur abspielt, wenn der*die Nutzer*in rennt und PairPlay, ein Augmented-Reality-Hörspiel, bei dem zwei Nutzer*innen Kopfhörer teilen und miteinander interagieren.
TikToks Wachstumkurve bleibt steil
Nicht nur wie, sondern auch wo: Medienhäuser und Unternehmen müssen verstehen, wo ihre Zielgruppe sich aufhält – und diese Antwortet lautet weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit TikTok. Während Social-Media-Stories in unserem ersten Predictions- Format 2020 noch als das Storytelling-Format der Stunde galten, wird dieser Platz zwei Jahre später von Kurzvideos belegt. Und die App ist der klare Gewinner des Jahres, wenn man auf die Download-Zahlen schaut. TikTok ist auf Kurs, die Marke von 1,5 Milliarden Nutzer*innen in den nächsten zwölf Monaten zu knacken. Bei der Sehdauer hat die App bereits den Video-Giganten Youtube in den USA überholt.
Deswegen rät Independent Researcher Markus Bösch Organisationen dazu, sich die Plattform näher anzuschauen, um nicht abgehängt zu werden. Auch Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales von ARD-aktuell, sieht es ähnlich: „Kein Kanal entwickelt dabei derzeit größeres Suchtpotenzial als TikTok. Dort wird es weiter Wachstumsdynamik geben“.
Die Plattform bietet Platz für spannende Erzählformen: „Chancen ergeben sich durch neue Möglichkeiten des visuellen Erzählens, geprägt durch Schlagworte wie High Density, Layered Storytelling und Realness. Die Devise lautet Mitmachen und Ausprobieren, ohne Angst vor Stitch und Duet“, erklärt unser Experte Marcus Bösch. High Density und Layered Storytelling, das sind Erzählstrategien, die auf konstante Reizaussendung durch Geräusche oder Übergange und auf Text-Bild Kombinationen setzen. Wem das alles zu kompliziert klingt, kann ein Blick auf Böschs How To TikTok für Journalist*innen werfen – und direkt ausprobieren.
Valerie Scholz, Mitgründerin von Fact For Friends, betonte in ihrer Prognose, wie wichtig es ist, das Medien der Generation Z auf Augenhöhe begegnen: „Dass sich die Generation Z von seriösen Medien abwendet und nur Spaß-Inhalte konsumiert, dieses Vorurteil sollten wir im Jahr 2022 hinter uns lassen. Denn die Gen Z ist nicht nur interessiert an gesellschaftlichen Themen, sondern hinterfragt und diskutiert auch gern mit“. Gute Formate überzeugen mit Authentizität und Nahbarkeit, anstatt mit Perfektion. Die Expert*in empfehlt auch, den direkten und ungefilterten Austausch mit der Zielgruppe zu pflegen – auf TikTok zum Beispiel mit Hilfe der Q&A-Funktion, des Community-Managements und von Live-Formaten.
Ein erfolgreiches Beispiel liefert die Tagesschau, die auf TikTok die 1-Million-Follower Marke geknackt hat. Sie hat die Logik der Plattform verstanden – und bietet gute Inhalte, die entsprechend vom TikTok-Algorithmus als solche erkannt werden. Dieses Beispiel und die Verweildauer bei TikTok zeigen, wie mächtig die Kombination von gutem Content mit guten Empfehlungssystemen sein kann.
Deswegen lautet die Prognose von Juliane Leopold, Digitalchefin von ARD-aktuell, für 2022 „Personalisierung“. Damit bezieht sie sich einerseits auf starke Algorithmen, die die Bedürfnisse der Nutzer*innen verstehen. Ähnlich sieht es Robert Andersen von Jung von Matt FLOW, dessen Prognose wir im Trendbericht „Business Modell Innovation“ eingeordnet haben.
Starke Persönlichkeiten produzieren starke Inhalte
Andererseits geht Juliane Leopold mit ihrer Prognose einen Schritt weiter und sieht einen zweiten Aspekt aus dem Bereich Personalisierung: die Vermittlung von Inhalten über starke Persönlichkeiten. In den USA wird dies vor allem von der Newsletter-Plattform Substack vorangetrieben, die in profilierte Autor*innen mit eigenen Communities investiert. Laut Leopold könnte dieser Trend auch im deutschen Sprachraum Dynamik entwickeln – unter anderem durch neue Projekte von Anbietern wie Steady, der zuletzt ein Fellowship-Modell für Autor*innen angeboten hat: „Es ist spannend zu beobachten, wie dieses Experiment sich entwickelt.“
Medienunternehmen sollten sich sich von diesen Angeboten inspirieren lassen und überlegen, wie sie sich diesen Trend in ihren eigenen Content-Formaten und Produkten aneignen können. Warum zum Beispiel Verlage stärker auf Personalisierung statt auf Sortiment-Abos setzen sollen, beschreibt Pia Frey, wie ihr in unserem Trendbericht „Business Modell Innovation“ nachlesen könnt.
Großer Bedarf für mehr Klima-Bildung
Im Superwahljahr 2021 wurde das Klima zum Streitthema – und spätestens dann ist vielen klar geworden, dass die Berichterstattung zu Klimathemen Lücken aufweist. Deswegen prognostiziert die Journalistin Sara Schurmann: „2022 muss das Jahr sein, in dem einer Mehrheit der Journalist*innen bewusst wird, wie akut die Klimakrise bereits ist“. Was ein fehlendes Bewusstsein für die Programmplanung bei Medien bedeutet, zeigte die Initiative „Klima vor Acht“ am Beispiel des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Demnach gibt es eine große Kluft zwischen der gesellschaftlichen Einschätzung der Relevanz der Klimakrise und Sendungen, die das Thema ansprechen.
Spannende Ansätze für bessere Klima-Berichterstattung zeigt zum Beispiel das neue Ressort ZEIT Green, mit dessen stellvertretender Redaktionsleiterin Laura Cwertnia wir gesprochen haben. Auch Formate wie der Instagram-Kanal @klima.neutral des WDR experimentieren mit Erzählstrategien und machen Klimathemen anhand spannender Stories, Infoposts und Reels sichtbar.
Deswegen lautet eine der Prognosen für 2022: mehr Climate Literacy. „Es braucht im nächsten Jahr Fortbildungsangebote für Journalist*innen und eine vertiefte Debatte innerhalb der Branche“, betont Sara Schurmann. Zum Beispiel im Rahmen des Netzwerk Klimajournalismus, in dem sie aktiv ist.
Im kommenden Jahr müssen also Medien auf ihre eigenen Inhalte schauen und überlegen, wie sie die Klimaberichterstattung ausweiten können – und welche neuen Formate sie dafür schaffen müssen. Welchen Strategien Medienhäuser folgen können, um mehr Klimathemen in der Berichterstattung zu etablieren, erarbeitete Wolfgang Blau, Gründer des Oxford Climate Journalism Networks, für das Magazin „Journalist“.
Mit dem neuen Jahr wird erneut die Hoffnung verbunden sein, dass die Pandemie endlich überwunden wird. 2022 wird also im besten Szenario die Spreu vom Weizen trennen und zeigen, welche der in der Pandemie entstandenen oder befeuerten Hypes, wie Audio und TikTok, auch längerfristig bleiben werden. Die Prognosen unserer Expert*innen zeigen, dass die Content-Produktion immer auf zwei Ebenen gedacht werden muss: einerseits mit Fokus auf die Zielgruppe, wie sie Inhalte konsumiert und wo sie sich bewegt. Und andererseits im Hinblick auf die Logiken und Möglichkeiten der Plattform an sich, die Ausspielwege diktieren. Nur so können gute Inhalte geschaffen werden, die auch konsumiert werden.

Dieser Trendbericht ist Teil der Predictions 20/22. Mit diesem jährlichen Format blicken wir in die Zukunft der relevantesten Technologien, Innovationen und Entwicklungen der Contentbranche.
Hier geht es lang zu allen Zukunftsprognosen unserer Expert*innen.
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