Virtuelle Welten, aber echte Gemeinschaften?
Entwicklungen der Medien- und Digitalbranche haben immer auch einen erheblichen Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben. Zuletzt und besonders vorangetrieben durch die Corona-Pandemie, haben digitale Parallelwelten das Miteinander geprägt. Gleichzeitig wird das Bedürfnis nach physischer Begegnung immer größer. Wie können wir Gemeinschaften in virtuellen Welten pflegen? Wie wird das Metaverse unser Zusammenleben verändern? Und wie sieht die Arbeitswelt der digitalen Zukunft aus? Wir haben David Mattin, Mina Saidze, Hermann Eckel, Dominik Schönleben und Meik Vogler nach ihren Prognosen für das Jahr 2022 an der Schnittstelle von Medien und Gesellschaft gefragt.
Community Building in virtuellen Welten
Laut dem Global Report 2021 von Hootsuite und We Are Social waren in diesem Jahr fast 60 Prozent der Weltbevölkerung digital unterwegs, das sind 4,66 Milliarden Menschen. Dabei verbringt der*die durchschnittliche Internetnutzer*in fast sieben Stunden pro Tag im Internet, ein Anstieg von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das bedeutet, dass wir fast so viel Zeit online verbringen wie wir schlafen und während etwa 40 Prozent unseres Wachlebens digitale Endgeräte nutzen. Was macht das mit Gemeinschaften in unserer Gesellschaft? Und wie muss die Medienbranche darauf reagieren?
Dass Communities auch für Medienmarken immer wichtiger werden, haben wir bei nextMedia.Hamburg in diesem Jahr bereits umfangreich diskutiert und auf unserem Blog zusammengefasst. Vom eigentlichen Content-Angebot über die Kuratierung von Inhalten, geht der Trend hin zur Begleitung der eigenen Community. Diese geht weit über die reine Versorgung mit passenden Inhalten für die Zielgruppe hinaus. Es geht um gemeinsame Werte, um Austausch und um das Gefühl, nicht alleine zu sein. Sie verlangt auch eine redaktionelle Ausrichtung, bei der Leser*innen weit mehr als nur eine Quelle finanzieller Unterstützung sind. Statt Konsum steht also Partizipation im Fokus.
Jetzt muss die Contentbranche darüber nachdenken, wie sie Gemeinschaften innerhalb virtueller Welten aufbauen kann. „Schon jetzt schaffen wir Räume, die Menschen zusammenbringen und es ihnen ermöglichen, miteinander und mit Ihnen zu sprechen”, sagt unser Experte David Mattin von New World Same Humans. „Doch wir befinden uns noch am Anfang dieser Reise und wir sollten nicht glauben, das Metaverse sei nur ein Hype. Mark Zuckerberg hat Recht: Ein hybrides Internet verändert so vieles in Bezug auf soziale Kontakte, Unterhaltung und Arbeit. Der Schlüssel ist, sich zu fragen: Wie können wir die neue virtuelle Welt nutzen, um die tiefsten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen?“
Virtuell vs. real
Stichwort menschliche Bedürfnisse: Die mittlerweile fast 4,2 Milliarden Instagram-Nutzer*innen haben bereits über zwei Milliarden Posts mit dem Hashtag #Love gepostet – doch wie viel Liebe gibt es online wirklich? Und wie gut funktionieren virtuelle Gemeinschaften langfristig, auch für Marken? Dominic Schönleben von Niantic ist sich sicher, dass sich Community Building in der Zukunft noch weiter als bisher in die „echte Welt“ verlagern wird und führt dabei die Games-Branche als wichtigsten Treiber an: „Es ist möglich, Communities online zu pflegen, aber die nachhaltigsten Bindungen zu anderen Community-Mitgliedern und deiner Marke entstehen, wenn sich Menschen im echten Leben treffen – zum Beispiel bei Meetups, Conventions oder Ähnlichen. Herauszufinden, was dies für die eigene Marke bedeutet, wird zu einer wichtigen Aufgabe. Communities, die nur im Digitalen stattfinden, werden abgehängt. Ein besonderer Treiber dieser Entwicklung wird weiterhin die Gaming-Branche sein und dabei insbesondere Real-World-Gaming. Es verändert, wie Menschen die Welt sehen. Reale Begegnungen und Umgebungen werden Teil der Spielerfahrung – und so ermöglichen sie lokale Communities überall auf der Welt.“
Daten – Demokratisierung der digitalen Währung
Eine weitere Entwicklung der zunehmenden Digitalisierung unserer Welt ist der Kampf um Daten. Dabei wird die Vormachtstellung der internationalen Tech-Plattformen immer bedeutender – sie bestimmen weltweit die Betriebssysteme der Endgeräte, die Voreinstellungen der Browser und die Reihenfolge der Suchergebnisse. Europa hat es in der Vergangenheit leider noch nicht geschafft, die Rahmenbedingungen für ein auf europäischem Recht fußendes Mediensystem zu schaffen, das mit den internationalen Wettbewerbern mithalten kann. Wie ein solches System aussehen kann, diskutieren wir aktuell gemeinsam mit der Stadt Hamburg und der Beyond Platforms Initiative (BPI). Im Interview erzählt uns Florian Hager, stellvertretender Programmdirektor der ARD und Mitglied der BPI, wie ein alternativer Medienkonsum und eine zukunftsfähige Mediennutzung abseits von Plattformen aussehen könnten.
Bis ein entsprechendes Ökosystem für Medien jedoch etabliert wird, gilt es den Umgang mit Daten zu demokratisieren. Das sieht auch unsere Expertin Mina Saidze von Inclusive Tech so und erklärt, was das bedeutet: „Daten sind ein integraler Bestandteil unseres Alltags. Daher ist die methodische Kompetenz der Datenanalyse nicht nur für Data Analysts und Data Scientists relevant, sondern für fast jeden Beruf unserer heutigen Zeit – sei es im Journalismus, Marketing oder Finance. Die Datenanalyse ist für mich das wichtigste Skill-Set des 21. Jahrhunderts. Umso wichtiger ist es, dass Organisationen Daten demokratisieren. Datendemokratisierung bedeutet für mich, Daten so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen – auch ohne technische Fähigkeiten. Daher werden die Themen Data Literacy und Datenkultur eine große Rolle spielen. Meine Prognose: Jede*r wird in der Zukunft ein Analyst sein.“
Doch wie bekommt man die Nutzer*innen überhaupt dazu, ihre Daten zu teilen? Mit qualitativen Inhalten, sagt Meik Vogler von Yours Truly: „Die Post Cookie Ära macht den Consent zum KPI – und lenkt damit den Fokus wieder auf das, was wirklich wichtig ist: die Qualität der Kommunikation.
„Die Zustimmung der Kund*innen bekommen wir nur, wenn wir ihnen auch gute Inhalte liefern."
Wir werden sehen, dass Mediakanäle zunehmend danach bewertet werden, inwieweit sie qualitativ hochwertigen Traffic liefern. Und Marketer werden sich intensiv um eine inhaltliche und strukturelle Aufwertung ihrer eigenen Kanäle kümmern (müssen). Denn die Zustimmung der Kund*innen bekommen wir nur, wenn wir ihnen auch gute Inhalte liefern.“
Arbeiten in einer digitalen Welt
Ein weiteres Thema, das uns im Kontext virtueller Welten auch 2022 noch stärker Beschäftigen wird, ist die Frage: Wie möchten wir eigentlich in einer Welt arbeiten, in der virtuelle Gemeinschaften immer wichtiger und unsere Daten immer wertvoller werden? Bereits im Sommer haben wir fünf große Medien- und Digitalunternehmen gefragt, wie ihre Arbeitskultur in Zukunft aussehen wird, angetrieben durch die beschleunigten Entwicklungen während der Corona-Pandemie. Was die Bauer Media Group, die Otto Group, Snap Inc., DER SPIEGEL und DIE ZEIT aus Hamburg dazu gesagt haben, haben wir auf unserem Blog zusammengefasst.
Und auch im Rahmen unserer Predictions haben wir uns dieses Jahr wieder gefragt, wie Arbeiten in einer digitalen Welt in Zukunft aussehen wird. Unser Experte Hermann Eckel von tolino media ist sich sicher: Remote Work wird auch über das Ende der Corona-Pandemie hinaus bleiben und die Content-Branche wird dabei ein starker Innovationstreiber sein: „Remote Work wird die Zusammenarbeit in vielen Unternehmen, auch im Medienbereich, weiter beeinflussen. Größere Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort und damit einhergehend ein stärkeres Vertrauen in Mitarbeiter*innen und ein höherer Grad an Selbstorganisation sind die Folge – und zunehmend Bedingung für erfolgreiche (Medien-)Unternehmen. Denn eine gute, offene, wertschätzende Unternehmenskultur wird ein immer wichtigerer Faktor im „war for talents“, und wenigstens hier kann die Content-Branche gegenüber margenstärkeren, höhere Gehälter zahlenden Industriezweigen punkten. Und nicht zufällig sind die erfolgreichsten Content-Unternehmen zugleich diejenigen mit der größten Innovationskraft und der progressivsten Unternehmenskultur – makes you think…“
Medien und Gesellschaft im Jahr 2022
Unsere Expert*innen prophezeien: Im kommenden Jahr werden Content-Unternehmen noch stärker an Lösungen arbeiten müssen, wie sie virtuelle Welten nutzen können, um im Digitalen ihre Communities aufzubauen und zu pflegen. Dabei sollte der Fokus auf physische Begegnungen jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Bei der Kombination dieser beiden Welten wird insbesondere die Games-Branche ein wichtiger Treiber sein. Mit immer weiter steigender Bedeutung von Daten in unserem Alltag wird zudem die Demokratisierung dieser eine bedeutende Rolle spielen. Für Marken bedeutet das, Consent als KPI zu verstehen und noch stärker auf qualitative Inhalte zu setzen, um die Zustimmung der Nutzer*innen zu erhalten. Außerdem wird 2022 auch weiterhin Remote Work ein zentrales Thema unserer Gesellschaft und die Contentbranche eine wichtige Akteurin für innovative New Work-Strategien.

Dieser Trendbericht ist Teil der Predictions 20/22. Mit diesem jährlichen Format blicken wir in die Zukunft der relevantesten Technologien, Innovationen und Entwicklungen der Contentbranche.
Hier geht es lang zu allen Zukunftsprognosen unserer Expert*innen.
- Tags: Community, Innovation, Insights, Marketing, Media, Metaverse, New Work, Predictions 20/22, Society
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