„Öffentlich-rechtliche Medienanstalten sind das exakte Gegenteil von Staatsfunk“
Christian Brandes alias Schlecky Silberstein gilt als einer der einflussreichsten Autoren und Blogger Deutschlands, verzeichnet mit seinem gleichnamigen Blog über eine halbe Million Leser*innen monatlich und ist gleichzeitig Headautor und Darsteller bei der von ihm produzierten satirischen Online-Show „Bohemian Browser Ballet“. Am 26. März wird er beim newTV Kongress 2020 in einem Fireside-Chat mit Dr. Carsten Brosda, Senator der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg, über die Zukunft von Fernsehen und Gesellschaft diskutieren. Wir haben uns im Vorfeld der Bewegtbild-Konferenz mit über Social-Media-Algorithmen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und TV-Quoten unterhalten.
Um mehr über die entstehende Filterblasen zu erfahren, haben Sie in einem Experiment ein Fake-Profil auf Facebook erstellt, das ausschließlich rechte Inhalte likt. Wie hoch ist die Gefahr einer virtuellen Realität, die ausschließlich von einem geschlossenen Kreis von Meinungen, Haltungen und Geschmäckern geschaffen wird?
Die Gefahr ist gigantisch, weil sie jeden einzelnen Social-Media-Nutzer betrifft. Jeder einzelne sieht eine auf ihn oder sie maßgeschneiderte Medienrealität, von der die Person ausgeht, alle würden die gleiche Realität sehen. Damit ist die Debatte so gut wie tot, weil wir nicht mehr über die gleichen Dinge reden. Früher haben wir die gleichen Zahlen oder Events gesehen und darüber diskutiert. Heute erliegt jede Diskussion mit dem Vermerk: Da habe ich andere Informationen.
Auch in der Bewegtbild-Branche lassen die algorhitmusbasierten Programmempfehlungen der großen Streamingdienstleister eine individuelle Bubble entstehen. Der Faktor „Zufall“ spielt dabei eine immer geringere Rolle. Was bedeutet das für die Zukunft von Bewegtbild-Inhalten?
Der Einsatz von Algorithmen bei Unterhaltungsprodukten ist ein nettes Tool, nicht mehr und nicht weniger. Bei Filmen und Serien wird bis auf Weiteres entscheiden, welche Menschen sie mir empfehlen.
Netflix testet derzeit ein Feature, bei dem ironischerweise gerade ein Algorithmus einen zufälligen Inhalt vorschlägt. Erinnert doch ein wenig an das Zappen der guten alten linearen Tage, oder?
Der Zufall birgt Überraschungen, das macht ihn so spannend. Außerdem lieben Menschen das Gefühl, einen Überraschungsfund gemacht zu haben. Auch hier finde ich: Nettes Feature. Mehr nicht.
Auf den Wachstum der Big Player im Streamingbereich haben die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten ihrerseits mit einer millionenschweren Mediathek-Offensive geantwortet. Ist die Abkehr von der Fixierung auf die offiziellen TV-Quoten der richtige Schritt?
Öffentlich-rechtlichen Medienanstalten müssen über Quoten nachweisen, dass sie nicht am Zuschauer vorbei senden. Das ist schade, aber notwendig. Allerdings wird zumindest gerade unter Funk-Produktionen diskutiert, ob es nicht sinnvoll wäre, bestimmte Inhalte bewusst von der Quoten-Messung auszunehmen, um Themen zu genügen, die wichtig sind, aber leider nur geringste Quoten beziehungsweise Reichweiten versprechen, wie zum Beispiel der Hunger in Afrika.
Beim newTV Kongress sitzen Sie in einem Fireside-Chat mit Kultur- und Mediensenator Dr. Carsten Brosda und diskutieren das Verhältnis von öffentlich-rechtlichen Sendern und Gesellschaft. Das bringt uns ein Stück weit auch zu unserer Ausgangsfrage zurück: Sind kuratierte und somit lineare Bewegtbild-Programme nicht eigentlich notwendig, um eine ausgewogene und demokratische Öffentlichkeit zu schaffen?
Öffentlich-rechtliche Medienanstalten gehören der Gesellschaft. Das wird immer wieder vergessen, weil die Kommunikation in der Sache leider auch dramatisch schlecht ist. Die Anstalten sind praktisch Medien-Networks der Bürger, damit kein Staat und keine privatwirtschaftliche Organisation, die Bedingungen diktieren kann. Es ist dringend notwendig, dass die Rundfunkräte ihre Funktion besser vermarkten und aktiv gegen das Label Staatsfunk an arbeiten. Denn öffentlich-rechtliche Medienanstalten sind das exakte Gegenteil von Staatsfunk.
Ihr wollt am 26. März beim newTV Kongress 2020 und beim Fireside-Chat von Schlecky Silberstein und Dr. Carsten Brosda dabei sein? Sichert euch hier eure Karten.
- Tags: Bewegtbild, Branchenentwicklung, newTV, newTV Kongress
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