Tim Kahle ist Geschäftsführer und Gründer von 169 Labs.

Tim Kahle (169 Labs) im Interview

Wer Alexa, Cortana und Siri sind, weiß eigentlich jeder. Laut einer aktuellen Studie von nextMedia.Hamburg haben 90 Prozent der Deutschen bereits von Sprachassistenten gehört. Auch aus den digitalen Strategien von Unternehmen sind die smarten Voice Assistants nicht mehr wegzudenken. Warum Sprachassistenten aktuell eines der wichtigsten Innovationsthemen sind, erfuhren wir im Interview mit Tim Kahle, Geschäftsführer und Gründer von 169 Labs. Er ist Referent beim „Voice Assistant Day“, den die Hamburg Media School in Kooperation mit nextMedia.Hamburg veranstaltet.

Viele setzen Sprachassistenten mit Künstlicher Intelligenz gleich, dabei ist so ein Amazon Echo oder ein Google Home ja erstmal gar nicht so schlau. Wo genau steckt da eigentlich die KI drin?

Für uns stellt sich zuerst die Frage nach der Definition von Intelligenz in diesem Kontext. Die Sprachassistenten müssen mit Informationen gefüttert werden, um sie an die Nutzer weitergeben zu können. Zum Teil machen das die Plattformen selbst, indem sie beispielsweise auf Wikipedia zurückgreifen, um Fragen zu allgemeinen Themen beantworten zu können. Unternehmen und Entwickler können durch die Veröffentlichung eigener Anwendungen den Wissensschatz der Assistenten erweitern. Die Künstliche Intelligenz steckt darin, die Anfragen der Nutzer über die Zeit richtig und immer besser zu verstehen. Darüber hinaus werden die Ergebnisse immer passgenauer für den einzelnen Nutzer. Dafür müssen die Assistenten aber, wie wir Menschen, trainiert werden. Nur so werden sie schlauer. In Zukunft erwarten wir, dass die Sprachassistenten auch eigenständig Verknüpfungen herstellen können und „intelligenter“ zwischen verschiedenen Kontexten wechseln können oder sich an vergangene Zusammenhänge erinnern, um dann effizienter und individueller antworten zu können. 

 

Wenn es um Sprachassistenten geht, haben laut einer aktuellen nextMedia.Hamburg-Umfrage die Deutschen große Angst um ihre Daten – ist diese Angst begründet?

Wir sind sensibilisierter für das Thema Datenschutz, nicht zuletzt durch den DSGVO Wahnsinn dieser Tage. Ein kleiner Vergleich: Die Voraussetzungen bei der Einführung der Smartphones vor rund zehn Jahren waren etwas andere. Große Player wie Facebook oder Google waren noch nicht in der Form in der Presse, wie sie es heute sind. Das Internet stand mit den sozialen Netzwerken vor einer großen Revolution. Mit der negativen Presse rund um die Weitergabe von Daten in diesem Kontext sind wir alle zu Möchtegern-Datenschützern mutiert. Jetzt ist bei den Smart Speakern ein Mikrofon verbaut und wir fühlen uns von der ersten Sekunde an überwacht. Dass wir eine Wanze mit uns herumtragen in Form unserer Smartphones, interessiert nur die wenigsten – der Nutzen dieser Geräte überwiegt die potenziellen Bedenken. Um bei diesem Bild zu bleiben: Wenn ich alle Standortservices, mobile Daten, etc. an meinem Smartphone ausstelle, dann ist es nur noch ein Telefon und keine Alltagswunderwaffe mehr. Auch blöd, oder? Bei Sprachassistenten müssen die Anfragen der Nutzer von der Künstlichen Intelligenz verarbeitet werden, damit sie sich stetig verbessern kann. Sonst bleiben sie so „unintelligent“, wie sie für manche Nutzer aktuell erscheinen. Die größte Sorge, dass da ein Mikrofon die ganze Zeit zuhört, ist der USP der Technologie: Es ist nämlich kein Zuhören, sondern ein Hinhören – und wenn ich „Alexa“ sage, ist sie ansprechbar und hört zu. Vorher nicht. Viele Nutzer leben hier eine Doppelmoral: Auf der einen Seite fragen sie, warum man immer „Alexa“ sagen muss, bevor eine Anfrage gestellt werden kann. Auf der anderen Seite wäre die logische Konsequenz, dass der Sprachassistent tatsächlich im Dauerlauschmodus sein müsste, aber da haben wir dann Angst um unsere Daten.

Gimmick oder wirklich praktisch – wie würden Sie den konkreten Nutzen von Sprachassistenten zum jetzigen Zeitpunkt beurteilen?

Sprachassistenten sind längst kein Gimmick mehr. Die Technologie durchdringt wie keine andere zuvor unsere Gesellschaft. Der Nutzen ist aktuell eingegrenzt auf relativ einfache Aufgaben und das ist aus unserer Sicht perfekt, denn wir sind gerade immer noch dabei, die Sprachassistenten in unseren Alltag hereinzulassen. Es ist eine Umstellung im Kopf, in seinen vier Wänden zu reden, ohne dass eine menschliche Person im Raum ist. Diese Umstellung ist in vollem Gange aktuell – und es ist gut, die Nutzer aktuell nicht mit hochkomplexen Anwendungen zu überfordern. Es bilden sich gerade neue Verknüpfungen in den Köpfen der Nutzer. Sie merken nach und nach, welche Vorteile Sprachassistenten im Alltag bringen. Sobald dieser Prozess vorangeschritten ist, sind wir bereit für komplexere Anwendungen und sensiblere Aufgaben. Denken Sie mal zurück – hätte Ihnen jemand 2005 gesagt, dass Sie wenige Jahre später morgens in der U-Bahn Ihre Miete überweisen oder Aktien verkaufen können, hätten Sie laut gelacht und dies für unmöglich gehalten. Wir sprechen uns in fünf Jahren nochmal! 

Mit 169 Labs realisieren Sie Anwendungen für Sprachassistenten – wie muss man sich das konkret vorstellen? Welcher Aufwand steckt hinter der Entwicklung eines so genannten Skills?

Bei der Entwicklung von Anwendungen für Sprachassistenten treffen viele Kompetenzen aufeinander: Dialog bzw. Voice User Interface Design, also die Konzeption der Dialoge zwischen Mensch und Maschine. Daneben natürlich die eigentliche Programmierung der Anwendung und möglicher Schnittstellen zu Informationsdatenbanken. Für die Erweiterung der Anwendung auf Geräte mit Displays zählt Grafikdesign nun ebenfalls zum Skillset einer Voice-Assistant-Agentur. Immer wichtiger werden aber auch psychologische Aspekte bei der Gestaltung der eigenen Anwendung. Wir stellen uns der Frage, welchen Ton Unternehmen in der Kommunikation über Sprachassistenten einschlagen müssen oder welche Eigenschaften eine Brand Persona bzw. Brand Voice haben muss, damit die Werte des Unternehmens perfekt transportiert werden können. Darüber hinaus können Audio und Sprache eine perfekte Symbiose ergeben. Das führt uns zu der Frage: Wie klingt eine Marke oder ein Unternehmen? Diese Überlegungen gehen weit über ein Audio-Logo hinaus, da Nutzer zukünftig über Sprachassistenten in Audio- bzw. audiovisuelle Welten eintauchen können.

 

Wo sehen Sie für Sprachassistenten in Zukunft das größte Potenzial? In welchen Bereichen werden sich Voice Assistants durchsetzen?

Es gibt sicherlich Anwendungsfälle und Bereiche an die selbst wir aktuell noch nicht denken, obwohl wir uns tagtäglich damit befassen. Wir haben aber für uns verschiedene Branchen als sehr vielversprechend identifiziert. Voice Assistants können aus unserer Sicht vor allem in den Bereichen Customer Service, Medien (Radio, Podcast, TV), Pflege/Gesundheit und Retail gewinnbringende Mehrwerte schaffen und Prozesse für Nutzer vereinfachen. Wir sind uns sicher, dass Sprachassistenten zu gezielterem Medien- und Informationskonsum führen werden und wir davon wegkommen, jede freie Sekunde unseres Alltags auf einen Bildschirm zu starren.

 

Für die Content- und Werbeindustrie ist der Voice-Sektor sehr spannend: Haben Sie einen Tipp parat für Unternehmen, die gerne in das Geschäft mit Sprachassistenten einsteigen wollen?

Babyschritte machen und mit der Plattform wachsen und mitlernen. Nur nicht monate- oder jahrelang einschließen, um zu beobachten, wie sich der Markt weiterentwickelt und im Zweifel an meinem Unternehmen vorbeizieht. So gelange ich unter Umständen in Zugzwang und versuche überhastet in den Markt einzusteigen, um dann ein me too zu sein. Natürlich reicht es nicht aus, zu wissen, was momentan „das Richtige“ ist. Man muss die richtigen Dinge auch richtig angehen. Inhalte müssen neu und für das Ohr gedacht werden und können nicht Eins-zu-eins aus dem Web per Voice-Anwendung ausgespielt werden. Aktuell haben wir sehr gute Erfahrungen damit gemacht, unsere Kunden in einem ein- oder zweitägigen Workshop auf die neue technologische Ära einzuordnen und Potenziale aufzuzeigen, bevor wir in die konkrete Umsetzung eines gemeinsamen Projekts einsteigen. 

Tim Kahle ist Referent beim „Voice Assistant Day„, den die Hamburg Media School in Kooperation mit nextMedia.Hamburg veranstaltet. Das Workshop-Format ist für Marketer, Designer, Projektmanager aber auch Entwickler der perfekte Einstieg. Die Vermittlung der Grundlagen der Konzeption von Voice Assistant Anwendungen anhand von Praxisbeispielen und dabei gleich selbst in den Prozess eintauchen und experimentieren, das ist das Ziel des eintägigen Seminars.

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