Dr. Christof Riek, Geschäftsführer von INFOnline

Datenschutz und Reichweitenmessung – Ein neuer Standard made in Germany?

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„Es ist erschreckend, wie machtvoll sich die GAFA in den Märkten bewegen“

Da der newTV Kongress 2020 abgesagt werden musste, konnten wir uns im Frühjahr dieses Jahres leider nicht mit Dr. Christof Rieck, Geschäftsführer von INFOnline, über das Thema „Datenschutz und Reichweitenmessung“ unterhalten. Das möchten wir jetzt nachholen. Michael Reinermann, Geschäftsführer von Generation Digitale und Teil der newTV Focus Group, mit der wir in den vergangenen Jahren gemeinsam den Kongress organisiert haben, hat mit dem Digital-Experten über Reichweitenmessung, Qualitätsstandards, Cookies und die Omnipräsenz der GAFA-Unternehmen gesprochen.

Michael Reinermann: Moin Christof, stell dich doch bitte einmal kurz vor: Wer bist du und was machst du?

Christof Rieck: Mein Name ist Christof Rieck, ich bin Geschäftsführer der INFOnline GmbH in Bonn. Seit meinem Start bei der INFOnline vor ziemlich genau neun Jahren arbeite ich zusammen mit meinen Mitarbeiter*innen und Partner*innen daran, den digitalen Medien und dem digitalen Werbemarkt zuverlässige Reichweitendaten zur Verfügung zu stellen. In dieser Zeit hat sich die INFOnline zu einem marktrelevanten Systemanbieter für technische Audience Measurement Verfahren entwickelt – auch über die Grenzen von Deutschland hinweg.

An wen richtet sich INFOnline Measurement, wer ist eure Zielgruppe?

Kund*innen sind Verlage, Medienhäuser und Agenturen – eigentlich alle, die mit ihrer Website über den Verkauf von Werbeplätzen Geld verdienen wollen; aber auch Bibliotheken oder andere öffentliche Einrichtungen wollen verlässliche, vergleichbare Nutzungszahlen über ihre Angebote. Mit dem Siegeszug der Smartphones sind inzwischen auch Anbieter*innen von Apps mit ihren Geschäftsmodellen daran interessiert, die Nutzung ihrer Apps unabhängig nachweisen zu können.

INFOnline Measurement wurde mit dem Ziel entwickelt, die Nutzung jeglicher Form von digital verbreiteten Medien unabhängig, fair und vergleichbar zu messen. Unsere Messung erfolgt nach Regeln, auf die sich die Vertreter*innen der Medien- und Werbewirtschaft geeinigt haben und die für alle teilnehmenden Kund*innen in absolut gleicher und damit vergleichbarer Art und Weise angewendet werden. Wir messen aber auch die Nutzung von Medien und Apps auf Smart-TV Geräten oder die Nutzung von Audiostreams auf den verschiedensten digitalen Endgeräten.

Welche Partner*innen arbeiten bereits mit euren Reichweitenmessungen?

Unser Messsystem ist im deutschen Markt weit verbreitet. Ein Großteil der werbeführenden Webseiten und mobilen Apps lassen ihre Nutzung durch uns messen. Der deutsche Markt zeichnet sich dadurch aus, dass Medien, Vermarkter*innen, Agenturen und Kund*innen gemeinsam an der Transparenz und den gemeinsamen Qualitätsstandards für die Reichweitenermittlung arbeiten. Dies erfolgt in den Gremien der Joint Industry Committees (JICS). Wir sind stolz darauf, dass wir mit allen relevanten JICS in Deutschland – agma, AGF, agof und IVW – zusammenarbeiten. Aber auch in Österreich ist unser Measurement die Grundlage, um die Nutzung von Digital Angeboten durch die Östereichische Webanalyse (ÖWA) ausweisen zu lassen.

Mit INFOnline seid ihr seit langem technischer Anbieter von Digital Audience Measurement“. Bei der Erfassung der Daten spielten lange Zeit Cookies eine wesentliche Rolle. Was hat sich für die Vermessung nach den neuen europäischen Datenschutzstandards, die unter anderem die ungefragte Nutzung von Cookies und Device Fingerprinting untersagen, geändert?

Über Cookies wurde viel gesprochen und viel diskutiert und das nicht nur, weil Weihnachten kurz vor der Türe steht. Spaß beiseite, das Thema ist tatsächlich aktuell und wir befinden uns unaufhaltsam auf dem Weg in die Post-Cookie-Ära. Apple mit dem Safari-Browser, aber auch Firefox haben die Verwendung von Cookies bereits abgeschaltet. Google Chrome und Microsoft Edge werden folgen. Die Nutzungsmessung von digitalen Medien wird mit anbieterunabhängigen Messverfahren, die Cookies, Fingerprinting oder ähnliche Identifier einsetzen, nur noch im Falle einer aktiven Zustimmung der betroffenen Nutzer*innen möglich sein. Damit ist aber auch deutlich abzusehen, dass eine unabhängige Nutzungsmessung mit solchen Verfahren nicht mehr wirklich vollständig sein kann. Wir fühlen uns berufen, diese Lücke wieder zu schließen.

Wo liegen die Unterschiede zu bisherigen Vermessungsangeboten und wie vermesst ihr denn datenschutzkonform?

Die meisten Messverfahren, wie auch unser bisheriges, versuchen Endgeräte bei der Nutzung von Medien wiederzuerkennen und denen dann eine Nutzung zuzuordnen. Damit kann neben der reinen Nutzungsmessung auch eine angebotsübergreifende Nutzung von Medien erkannt werden. Dies ist wichtig für die Markt- und Medienforschung, weil nur so erforscht werden kann, wie sich die Nutzung von Medien über die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft verteilt. Auch bei der Ausspielung von Werbung wird versucht, Geräte oder sogar Nutzer*innen wiederzuerkennen. Werbung, die an die richtigen Zielgruppen ausgespielt wird und nicht in aufdringlicher Häufigkeit erscheint, wird positiver wahrgenommen und ist sicherlich erfolgreicher. Die Wiedererkennung von Endgeräten kann aber nur gelingen, wenn Identifier – wie zum Beispiel Cookies – auf den Geräten zum Einsatz kommen. Alle diese Verfahren können zukünftig nur noch eingesetzt werden, wenn die Endbenutzer*innen ihre Zustimmung erteilt haben. Damit können alle diese Verfahren aber nur noch eine Teilmenge der tatsächlichen Nutzung von Medien im Internet erfassen.

Es ist offensichtlich, dass viele Teilnehmer*innen im Markt nach Ersatz oder Alternativen zum sterbenden Cookie suchen. Egal ob es Login-Verfahren oder neue Arten von Identifiern sind, die Bemühungen gelten der bestmöglichen Fortsetzung von bekannten Mechanismen und Geschäftsmodellen. Wir haben ein Verfahren entworfen, das auf jegliche Form von Identifiern verzichtet. Wir gehen diesen Schritt mit aller Konsequenz und denken, dass das die einzige Möglichkeit ist, langfristig eine stabile, datenschutzkonforme Lösung anbieten zu können. Damit sind wir wahrscheinlich aber auch der einzige Anbieter, der eine vollständige und unabhängige Nutzungsmessung datenschutzkonform anbieten kann.

Europa positioniert sich weiter in Richtung Datenschutz und Recht auf Privatsphäre, wie schätzt du den internationalen Wettbewerb ein? Hält eure Lösung gegenüber Anbieter*innen wie Nielsen, GAFA und Co. stand?

Europa hat es in der Vergangenheit leider nicht geschafft, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich eine europäische Digitalwirtschaft ausgebildet hätte, die sich mit den Wettbewerber*innen aus den USA oder Asien messen könnte. Die Besinnung auf Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre sind wichtig und richtig. Vielleicht noch wichtiger wird es sein, sich die eigenen Ökosysteme für digitale Geschäftsmodelle zu erhalten. Es ist erschreckend, wie machtvoll sich die GAFA mit ihrer Omnipräsenz in den digitalen Systemen in den Märkten bewegen. Wer weltweit die Betriebssysteme der Endgeräte, die Funktion und die Voreinstellung der Browser, die Spielregeln für die App-Stores, die Reihenfolge von Suchergebnissen und die Plattformen für den Verkauf von Produkten im Internet bestimmt, muss sich offenbar nicht an bestehende Regeln in den Märkten halten.

In den Walled Gardens der GAFA werden komplett eigene Ökosysteme mit eigenen Metriken definiert. Wir bieten ein Messsystem, das die Privatsphäre der Nutzer*innen achtet und einen fairen Vergleich für die Nutzung von digitalen Medien ermöglicht. Wenn die GAFA ihre eigenen Aussagen ernst nehmen, dass sie für eine unabhängige Verifikation ihrer Reichweiten offen sind, dann werden sie demnächst nicht mehr an unserem Angebot vorbei gehen können. Wenn andere Anbieter*innen von Audience Measurement ihre Systeme um eine anonyme Messung erweitern wollen, sind sie eingeladen unsere Ideen zu nutzen.

Kannst du über eure INFOnline Measurement Roadmap sprechen? Welche Meilensteine stehen zeitnah an?

Ganz aktuell haben wir mit dem Softlaunch von INFOnline Measurement anonymous für den deutschen Markt begonnen. Das bedeutet, dass unsere Kund*innen sich für die Einrichtung der neuen anonymen Messung anmelden können. Die ersten Angebote in Deutschland sind bereits produktiv. Der Startschuss für die anonyme Nutzungsmessung ist somit bereits gefallen. Zunächst werden sukzessive alle klassischen Web-Angebote umgestellt. Anfang 2021 werden wir dann auch entsprechende Softwarebausteine anbieten, damit auch Anbieter*innen von Apps unsere anonyme Nutzungsmessung einsetzen können. Parallel arbeiten wir an der Weiterentwicklung von INFOnline Measurement pseudonymous, das als wichtiger Baustein für die angebots- und geräteübergreifenden Studien unerlässlich ist. Diese Form der Messung wird jedoch nur noch im Zustimmungsfalle eingesetzt.

Mit unserem neuen System ist uns ein echter Quantensprung gelungen. Wir messen die Nutzung von digitalen Medien vollständig und zuverlässig. Der konsequente Verzicht auf personenbeziehbare Daten bei der anonymen Nutzungsmessung ist einzigartig und richtungsweisend.

Viel Erfolg mit INFOnline Measurement und danke für das Gespräch, Ahoi.

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