Mit dem Buch „The Journalistic Connection“ wollen die dänischen Journalisten Per Westergård und Søren Schultz Jørgensen den Pfad aus der Krise der Medien gefunden haben. Fotocredits: Pixabay

„The Journalistic Connection“

Nachrichtenmedien haben bekanntermaßen ein großes Problem: Seit Jahren wandern große Teile ihres Publikums zu diversen Content Plattformen ab und kehren den traditionellen Medien dabei den Rücken. Mit dem Buch „The Journalistic Connection“ wollen die dänischen Journalisten Per Westergård und Søren Schultz Jørgensen den Pfad aus der Krise gefunden haben und dem Journalismus Chancen und neue Wege eröffnen.

„Die erfolgreichsten Medien werden diejenigen sein, die es schaffen Verbindungen mit ihren Lesern, Usern, Zuhörern und Zuschauern zu konstruieren und es wagen die journalistischen Dogmen des vergangenen Jahrhunderts zu hinterfragen.“ Dieser Gedanke ist die Essenz hinter dem Buch „The Journalistic Connection“ (2018). Und genau das taten Per Westergård und Søren Schultz Jørgensen: sie hinterfragten. Die Analyse von 54 Medien führte die Skandinavier durch Europa und die USA in neun Länder. Welche innovativen Wege die Medien beschreiten, haben Westergård & Jørgensen in ihrem Buch in neun Leitideen zusammengefasst. Welche Methoden euch bei eurer Arbeit helfen können, erfahrt ihr hier.

Nische statt Omnibus-Ansatz

Je stärker sich ein Medium spezialisiert, desto besser kann es ein Leser einordnen. Einem Fachmagazin für Segelflieger glaubt man eine Geschichte über Gleitflugzeuge eher als einer großen, nationalen Zeitung. Wenn sich ein Publikum also mit einem Medium verbunden fühlen soll, muss dieses zuerst klarmachen, wofür es steht. Egal ob geografisch, sozial-demografisch oder politisch: Medien sollten ihren Standpunkt klarstellen. Das heißt auch, dass gerade Publizieren auf Nischenmärkten keine Hürde darstellen muss, sondern genau für neue Geschäftsmodelle eine echte Chance sein kann. Wer dieses Thema weiter vertiefen möchte, den laden wir herzlich zum ersten newTV Forum dieses Jahr ein. Das Event im betahaus Hamburg gibt fundierte Einblicke in die Chancen von Nischenmärkten im Bewegtbildbereich und in die Strategien von Branchengrößen wie beispielsweise DER SPIEGEL.

Journalismus zum Anfassen

Ebenfalls vom Spiegel kommt ein Beispiel-Projekt für Journalismus zum Anfassen: Anfang 2018 lud das Verlagshaus zum Podiumsgespräch über Donald Trump zwischen ZDF-Moderator Klaus Kleber, Politikwissenschaftler Michael Werz und weiteren Experten. Bei echten Events mit Leuten vernetzen, diskutieren, zuhören, dabei echte Emotionen spüren. Wenn dann noch ein inspirierender Sprecher auf einer Bühne Insiderwissen auspackt, dann lohnt sich das Erscheinen erst recht. So schaffen Medien den Sprung vom Blatt hin zu einem neuen Journalismus-Verständnis.

Durch Kooperation Transparenz schaffen

Sein Publikum in Kreativprozesse einbinden, ist ein weiterer Ansatz: Ob bei Recherche- oder Contentproduktion spielt eigentlich keine Rolle. Mitbestimmungsrecht insgesamt verstärkt die Bindung zwischen Konsumenten und Medien. Die sh:z hat es 2017 vorgemacht: Ein 360°-Grad-Video eines leerstehenden Geländes in Flensburg hat der Verlag für einen Ideenwettbewerb genutzt. Die Leserschaft wurde aufgerufen, ihre Ideen für die zukünftige Nutzung des Geländes einzubringen. Heute säumt die gut besuchte „Piratennest“-Bar die norddeutsche Hafenkante. Solche durch Kollaboration entstandenen Projekte festigen beim Publikum das Gefühl von Mitbestimmungsrecht.

Transparenz und Dialog

Letztlich sind Glaubwürdigkeit und Transparenz unter den wichtigsten Leitideen von Westergård und Jørgensen. Die alten, abgeschotteten Medienstrukturen haben ausgedient. Synergien entstehen, wenn Medien ihrem Publikum zuhören, Ideen aufgreifen und so durch Kooperation Neues entsteht. Als Beispiel für Zusammenarbeit haben auch wir im letzten Jahr beim scoopcamp einen Workshop über wissenschaftliche Untersuchung von Flüchtlingsrouten angeboten: Petra Kamniksky (dpa) präsentierte die Ergebnisse monatelanger Recherchearbeit. Unter dem Workshop Projekt „MINDS Global Spotlight“ erarbeite Kaminsky mit Teilnehmern zusammen, wie konkret sich Fluchtrouten den politischen Gegenmaßnahmen anpassen und Grenzschließungen nur ein Kampf gegen die Symptome sind.

Ein weiteres positives Beispiel für Transparenz und Glaubwürdigkeit im Journalismus ist „The Trust Project“. Die preisgekrönte Journalistin Sally Lehrman kämpft mit ihrem Projekt für Authentizität. Die diesjährige scoopcamp-Sprecherin hat im Rahmen des Projekts sogenannte „Trust Indicators“ definiert. Praktisch bedeutet dies, dass acht Indikatoren für glaubwürdige, journalistische Berichterstattung festgelegt wurden, wie zum Beispiel Informationen über Recherche-Methoden und die Autoren. 

Fazit

Das Lamentieren von den Medien in der Krise ist überholt und wenig konstruktiv, es braucht neue Ansätze und ein Pflichtgefühl für Veränderung. Jeder einzelne Leser möchte ernstgenommen werden und sehen wie sich dies durch Transparenz, Glaubwürdigkeit und Interaktion im Journalismus widerspiegelt. Diese gesellschaftliche Tendenz haben Online-Content-Plattformen den klassischen Medien derzeit noch voraus. Nach Westergård und Jørgensen muss das Fundament des Journalismus nicht gänzlich erneuert werden. Aber die Wünsche des Publikums umzusetzen ist langfristig nicht nur alternativlos, sondern auch sinnvoll. Auch einige deutsche Medien setzen die Ideen der beiden Dänen bereits um: Sei es Correctiv, das den Dialog mit seinen Lesern sucht, oder auch die Ze.tt aus Berlin, die Nischenjournalismus zu speziellen Themen mit gesellschaftlich jedoch hoher Relevanz produziert. Die weiteren Leitideen der beiden Skandinavier:

• Leser zu Mitgliedern machen und ihnen bezahlbaren Content als Mehrwert bieten
• Social Media Plattformen zusätzlich zur eigenen Website nutzen um Nutzer zu erreichen
• Konstruktiver Journalismus ist relevanter als problemorientierter Journalismus, weil Leser Lösungen gegenüber Problemanalysen bevorzugen
• Gezielter Aktivismus durch Kampagnen kann positive gesellschaftliche Dynamiken in Gang setzen

Ansätze für die Zukunft des Journalismus sind zahlreich vorhanden, auch bei den beiden Dänen – welcher Ansatz zur Lösung führt, muss jede Redaktion und jeder Verlag für sich allein herausfinden, vor allem aber zielorientiert experimentieren und am wichtigsten, lernen.

Das Buch „The Journalistic Connection“ ist 2018 im Gyldendal Business Verlag erschienen und hier als E-Book erhältlich, leider bisher nur auf Dänisch.

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