Chris Waiting ist Geschäftsführer von The Conversation UK und hält beim scoopcamp 2020 eine Keynote.

scoopcamp 2020: Keynote-Speaker Chris Waiting im Interview

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„2020 hat uns gelehrt, Wissenschaftler*innen und Expert*innen zuzuhören”

Wenn es um komplexe Themen wie Corona geht, vertraut die überwiegende Mehrheit der Deutschen auf die Expertise von Wissenschaftler*innen. Das ist ein Ergebnis unserer jüngsten scoopcamp-Umfrage, das unter anderem den Erfolg des NDR-Podcasts „Das Coronavirus-Update“ mit Prof. Dr. Christian Drosten erklärt. Wie wertvoll die Zusammenarbeit von Journalist*innen und Wissenschaftler*innen sein kann, wird Chris Waiting, Geschäftsführer von The Conversation, auch beim scoopcamp aufzeigen. In seinem Vortrag spricht er am 24. September in Hamburg über Journalist*innen und Akademiker*innen, die gemeinsam für eine besser informierte Öffentlichkeit arbeiten. Wir haben uns im Vorfeld der Innovationskonferenz für Medien mit dem Keynote-Speaker unterhalten.

Die Erfolgsgeschichte von The Conversation hat vor neun Jahren in Australien begonnen. Heute hat der Verlag über 100 Mitarbeiter*innen und jede Menge treue Leser*innen, veröffentlicht in vier Sprachen und neun Ländern, von Frankreich bis nach Indonesien. Was für ein Konzept steht hinter diesem beachtlichen Erfolg?

Bei The Conversation berichten wir über Politik, Sport, Gesundheit, Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft und mehr. Mit einer Besonderheit: Unsere Geschichten werden alle von Akademiker*innen und Wissenschaftler*innen geschrieben. Im Gegensatz zu akademischen Zeitschriften bereiten wir die Inhalte dabei so auf, dass sie für die breite Öffentlichkeit zugänglich und interessant werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit die Qualität der öffentlichen Debatten verbessern können. 

Die Akademiker*innen, die für uns schreiben, liefern nicht nur fachkundige Analysen und wertvollen Nachrichten-Kontext, sie teilen auch Spitzenforschung, von der viele sonst nie hören würden. Wir veröffentlichen alles unter einer Creative-Commons-Lizenz, die es anderen Nachrichtenagenturen erlaubt, unsere Inhalte kostenlos wiederzuverwenden. Im März, als COVID-19 die Schlagzeilen beherrschte, wurden wir weltweit mehr als 100 Millionen Mal gelesen. Wir veröffentlichen zwar noch nicht in Deutsch, arbeiten aber bereits mit einer Reihe von Verlagen zusammen, um zu prüfen, wie wir unseren Journalismus hier besser zugänglich machen können.

Die Corona-Pandemie hat die finanziellen Sorgen vieler Medienhäuser verschärft, ihr dagegen seid davon relativ unberührt geblieben. Was macht euer Geschäftsmodell so krisenfest?

Wir finanzieren uns hauptsächlich über unsere Mitglieder, mehr als 350 Universitäten auf der ganzen Welt, und werden von Stiftungen unterstützt. Außerdem bin ich dankbar, dass wir eine wachsende Zahl von Leser*innen haben, die regelmäßig spenden, obwohl alle unsere Inhalte kostenlos sind. Unsere Aufgabe besteht darin, das Wissen der Forschung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen – unser Journalismus ist die Art und Weise, wie wir diese Aufgabe erfüllen. 

Das bedeutet auch, dass wir keine Eigentümer*innen oder Aktionär*innen haben, die sich redaktionellen Einfluss oder eine finanzielle Rendite erhoffen. Jeder Gewinn, den wir machen, wird in die Organisation reinvestiert. Unsere Website enthält zudem keine Werbung, was auch der Grund war, warum wir vom Abschwung, der so viele Medienhäuser in den letzten Monaten getroffen hat, kaum betroffen waren. Man muss aber auch sagen: Unser gemeinnütziger Ansatz ist wahrscheinlich nicht für jede Nachrichtenorganisation geeignet.

Was können klassische Medienhäuser denn trotzdem von The Conversation lernen?

Wir haben festgestellt, dass viele Akademiker*innen vorsichtig sind, wenn es darum geht, mit Teilen der Medien zusammenzuarbeiten, da sie meinen, dass ihre Arbeit und die anderer Wissenschaftler*innen falsch dargestellt werden könnte. Sehr häufig schon wurden vielversprechende medizinische Forschungsergebnisse sehr übertrieben als „bahnbrechende Fortschritte“ angepriesen. Wenn uns das Jahr 2020 aber etwas gelehrt hat, dann ist es, Wissenschaftler*innen und Expert*innen zuzuhören. Die Bürger*innen haben gezeigt, dass sie bei komplexen Themen auf Expert*innen vertrauen und sich von ihnen erklären lassen möchten, was passiert, warum Entscheidungen getroffen werden und was sie tun sollen. 

Ich denke auch, dass die Medien besser darin geworden sind, die unvermeidliche Unsicherheit der sich schnell entwickelnden Wissenschaft korrekt darzustellen. Und Wissenschaftler*innen sind besser darin geworden, eigene Projekte und Erkenntnisse zu erklären. Das ist etwas, was andere News-Akteur*innen von uns lernen können. Letztlich sind engagierte Leser*innen, die der Berichterstattung vertrauen, der Schlüssel für eine nachhaltigen Journalismus.

Der Journalismus ist für eine Demokratie unverzichtbar und hat doch immer größere Probleme, sich zu finanzieren. Wie kann dem langfristig entgegengewirkt werden?

Wie ich es eben bereits angedeutet habe: Nachhaltiges Engagement ist für alle Verleger*innen, die Leser*innen dazu bewegen wollen, ihre Brieftasche zu öffnen, von entscheidender Bedeutung. Daher sollten Publisher*innen alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente wie Newsletter, Podcasts und andere direkte Kommunikationsmittel nutzen, um eine Beziehung zu ihren Leser*innen aufzubauen. Wir müssen Leser*innen den Wert, den wir für sie selbst, aber auch die Gesellschaft haben, klar aufzeigen. 

Auch wenn wir eine gemeinnützige Organisation sind, verfolgen wir bei The Conversation genau diesen Ansatz. Ob mit unseren Universitäten oder unseren Leser*innen: Wir müssen unseren Partner*innen immer sowohl die Vorteile, die wir ihnen persönlich bieten, als auch unseren Wert für das gesellschaftliche Zusammenleben aufzeigen.

Was glauben Sie, wie wird sich der Journalismus in Zukunft finanzieren?

Ich wünschte, ich könnte in eine Glaskugel sehen und wüsste die Antwort. Aber selbst die erfolgreichsten Verleger*innen müssen sich ständig hinterfragen, um den fortwährenden Kräften des Wandels standzuhalten. Was mich ermutigt ist die Vielfalt der Finanzierungsmodelle, mit denen derzeit experimentiert wird. Von Paywalls über Mikrotransaktionen, Spenden und Mitgliedschaften bis hin zu neuen Werbemodellen ist vieles dabei. Unterschiedliche Modelle funktionieren dabei für unterschiedliche Arten von Inhalten. Ich bin der Meinung, dass auch öffentliche Förderungen eine wichtige Rolle spielen werden. Dabei sollte wir darauf achten, dass die redaktionelle Unabhängigkeit gewahrt bleibt und nicht nur klassische Medien mit veralteten Modellen unterstützt werden. Und natürlich glaube ich, dass es auch einen Raum für gemeinnützige Medien geben wird. 

Für mich gibt es allgemein zwei Dinge, die eine erfolgreiche Nachrichtenorganisation tun muss. Erstens: Agil und flexibel sein und erkennen, dass ein Modell, das heute funktioniert, morgen vielleicht nicht mehr funktioniert. Zweitens: Seinen Leser*innen zuhören. Das bedeutet nicht, dass man nur Klicks hinterherjagt oder sich auf Clickbaiting konzentriert. Man muss verstehen, was die Leser*innen wollen und was sie schätzen. Das ist entscheidend, um sie bei der Stange zu halten.

Morgen werden Sie beim scoopcamp eine Keynote halten. Der Titel: „Wissen demokratisieren“. Warum sollten die Leute um 14 Uhr den Livestream einschalten?

Ich werde über die Geschichte unseres Projekts sprechen, das 2011 in Australien gestartet ist, und über drei grundlegende Herausforderungen, die unser Gründer Andrew Jaspan damals angehen wollte. Und darüber, wie die „Demokratisierung des Wissens“ so etwas wie ein wohltätiger Auftrag für uns ist, nach dem die gesamte News-Branche streben sollte.

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